Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 9. November 2021 in der Rechtssache C-91/20 auf Grundlage eines Vorabentscheidungsersuchens des deutschen Bundesverwaltungsgerichts von Ende 2019 klargestellt, dass die EU-Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU es nicht verbietet, Kindern eines Flüchtlings im Wege des Familienflüchtlingsschutzes allein auf Grundlage ihrer Zugehörigkeit zur Familie des Flüchtlings ebenfalls die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Wenngleich die Richtlinie das Konzept des Familienflüchtlingsschutzes nicht kenne, sondern für nicht selbst verfolgte Familienangehörige in Art. 23 lediglich die Gewährung gleicher Leistungen wie die dem Flüchtling zustehenden Leistungen vorsehe, sei der Grundsatz des Schutzes der Familie des Flüchtlings völkerrechtlich anerkannt, wodurch ein ausreichender Zusammenhang zu dem Zweck des dem Flüchtling gewährten internationalen Schutz bestehe. Nationale Regelungen zum Familienflüchtlingsschutz seien insofern günstigere Normen im Sinne von Art. 3 der Qualifikationsrichtlinie, die auch mit der Richtlinie vereinbar seien. Dies gelte auch dann, wenn ein Kind des Flüchtlings erst im Aufnahmestaat geboren worden sei, und im Grundsatz selbst dann, wenn es die Staatsangehörigkeit eines anderen Drittstaats besitze, in dem es nicht Gefahr laufen würde, verfolgt zu werden.
Nur ausnahmsweise solle dies nicht gelten, so der EuGH, wenn das Kind entweder unter einen der Ausschlussgründe nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie falle oder es aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder eines anderen Merkmals seiner persönlichen Rechtsstellung Anspruch auf eine bessere Behandlung in dem Aufnahmestaat hätte als die Behandlung, die sich aus der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ergebe.
Der EuGH weicht mit dieser Entscheidung deutlich vom Votum des Generalanwalts ab, der in seinen Schlussanträgen vom 12. Mai 2021 noch argumentiert hatte, dass das Konzept der automatischen Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz nicht mit Art. 3 der Qualifikationsrichtlinie vereinbar sei, was letztlich eine Relativierung des Ahmedbekova-Urteils des EuGH von 2018 bedeutet hätte. Insofern ist es erfreulich, dass sich der EuGH stattdessen zu einer Fortschreibung der Ahmedbekova-Rechtsprechung entschlossen hat.
Das Bundesverwaltungsgericht hält in seinem Beschluss vom 20. Juli 2021 (Az. 1 B 34.21) nicht viel davon, der Frage nach einer absoluten zeitlichen Höchstgrenze des Dublin-Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens grundsätzliche Bedeutung einzuräumen und hat einen entsprechenden Antrag auf Zulassung der Revision wegen mangelhafter Darlegung zurückgewiesen. In der Sache nennt das BVerwG immerhin Anhaltspunkte, auf welche Ausführungen es ihm angekommen wäre, etwa in Hinblick darauf, dass Striktheit und Formalisierung von Zuständigkeitsbestimmung und -übergang gegen eine Zulassung unbenannter Fälle eines Zuständigkeitsübergangs durch bloßen Zeitablauf sprächen und dass gemäß Art. 17 Dublin-III-VO eine konstitutive Entscheidung eines Mitgliedstaats erforderlich sei, um einen Zuständigkeitsübergang herbeizuführen, also gerade kein automatischer Übergang vorgesehen sei. Die in der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage, „ob jedenfalls nach Ablauf von vier Jahren seit Asylantragstellung der Aufenthaltsstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist/wird“, sollte in einer ähnlichen Konstellation entsprechend überarbeitet werden.
In seinem Beschluss vom 27. Oktober 2021 (Az. 19 A 2591/20.A) hält das Oberverwaltungsgericht Münster die Anforderungen an eine im asylgerichtlichen Verfahren gestellte Gehörsrüge fest. Stütze der Kläger eine Gehörsrüge nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO auf eine unterlassene Kenntnisnahme des Verwaltungsgerichts von entscheidungserheblichem Vorbringen, müsse er substantiiert darlegen, welche besonderen Umstände darauf hindeuteten, dass das Gericht ein bestimmtes, ebenfalls konkret zu benennendes Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht berücksichtigt habe und dass er daran gehindert gewesen sei, sich ausreichend rechtliches Gehör zu verschaffen, so das OVG. Diese Entscheidung bringt an sich nichts Neues, die Betonung in einem Leitsatz deutet aber darauf hin, dass das OVG Anlass sah, die an eine Gehörsrüge zu stellenden Anforderungen in Erinnerung zu rufen.
§ 60d Abs. 1 Nr. 7 AufenthG sei so auszulegen, so das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem Beschluss vom 26. Oktober 2021 (Az. 8 LA 94/21), dass eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat der Erteilung einer Beschäftigungsduldung unabhängig vom Strafmaß entgegenstehe, abgesehen von den Sonderdelikten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylgesetz nur von Ausländern begangen werden könnten. Aus Wortlaut, Zweck und Systematik der Regelung folge klar, dass mit Ausnahme der genannten Sonderdelikte jegliche Verurteilung ausreichen solle, um eine Beschäftigungsduldung auszuschließen, dies verstoße auch nicht gegen höherrangiges Recht. Die Entscheidung führt die Härten von § 60d AufenthG vor Augen, die auch bei geringfügigsten Straftaten (hier: Diebstahl geringwertiger Sachen, Geldstrafe von 15 Tagessätzen) zu einem Ausschluss von der Beschäftigungsduldung führt.
Biete ein Sachverhalt für das Vorliegen einer vom Regelfall abweichenden Ausnahme im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und damit für das Nichtbestehen eines Ausweisungsinteresses Anlass zu weiteren Ermittlungen, die über eine Auswertung der vorgelegten Akten hinausgehen, seien in aller Regel hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne des Prozesskostenhilferechts gegeben, so der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seinem Beschluss vom 19. Oktober 2021 (Az. 12 S 1800/20). Dies könne etwa der Fall sein, wenn die am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auszurichtende, umfassende Abwägung aller in Betracht kommender öffentlicher und privater Interessen sowie eine gewichtete Gesamtbetrachtung der Lebensumstände des Ausländers allein aus den Akten nicht verlässlich geprüft werden könne. Die Entscheidung ist insofern folgerichtig, als Prozesskostenhilfe schon dann zu gewähren ist, wenn wenn ein Obsiegen ebenso wahrscheinlich erscheint wie ein Unterliegen, der Prozessausgang also offen ist, was bei unterbliebener Sachaufklärung vor allem in Hinblick auf etwaige Ermessensfehler häufig der Fall sein dürfte.
Der Bundesgerichtshof gibt in seinem Beschluss vom 31. August 2021 (Az. XIII ZB 35/19) Anhaltspunkte vor, wann Fluchtgefahr bei vorheriger Asylantragstellung in einem anderen Dublin-Staat (§ 2 Abs. 14 AufenthG) anzunehmen sein kann und wann nicht. Soweit die Umstände der Feststellung des Betroffenen im Bundesgebiet konkret darauf hindeuteten, so der BGH, dass dieser den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen wolle, und diese Umstände ein Indiz für Fluchtgefahr begründeten, werde dieser Anhaltspunkt durch die Einleitung eines Asylverfahrens in Deutschland nicht gegenstandslos, allerdings könne im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung Fluchtgefahr zu verneinen sein, wenn die Reise einen Mitgliedstaat zum Ziel habe, der für die Prüfung des Asylantrags zuständig sein könne. Das kann etwa der Fall sein, wenn im Zielstaat bereits Familienangehörige leben, insofern ist die Entscheidung hilfreich, weil sie darauf hinweist, dass stets eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist.
In seinem Urteil vom 5. November 2021 (Az. 6 A 1264/17) ist das Verwaltungsgericht Stade der Ansicht, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge berechtigt sei, seine Akten elektronisch zu führen, und Papierdokumente nicht aufbewahren müsse. Insbesondere beim ersetzenden Einscannen einer Postzustellungsurkunde durch das BAMF auf Grundlage von § 7 Abs. 1 Satz 2 EGovG sei eine qualifizierte elektronische Signatur nach dem Stand der Technik nicht erforderlich. Das VG stellt sich damit gegen ein Urteil des VG Wiesbaden vom 9. August 2017 (Az. 6 K 808/17.WI.A), das dem BAMF noch (in deutlichen Worten) Verstöße gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung vorgeworfen hatte.