BVerwG ausführlich zur Wohnungsdurchsuchung

Im Juni hatte das Bundesverwaltungsgericht kurz und per Pressemitteilung über seine zwei Entscheidungen berichtet, in denen es um die Rechtmäßigkeit des Betretens von Räumen in Flüchtlingsunterkünften ging, nun hat es auch die Volltexte seiner beiden Urteile vom 15. Juni 2023 (Az. 1 CN 1.22 und 1 CN 10.22) veröffentlicht.

Im Verfahren 1 CN 10.22 stellte das BVerwG fest, dass das einem Ausländer zugewiesene Zimmer in einer Aufnahmeeinrichtung gemäß § 47 Abs. 1 AsylG in der Regel eine Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG sei. Eine Durchsuchung der Wohnung, für die eine vorherige richterliche Anordnung erforderlich wäre (Art. 13 Abs. 2 GG), liege jedoch nicht schon dann vor, wenn die Wohnung überhaupt betreten werde, sondern nur dann, wenn als zweites Element die Vornahme von Handlungen in den Räumen hinzukomme, etwa die Suche nach Personen oder Gegenständen. Kennzeichnend für die Durchsuchung sei die Absicht, etwas „nicht klar zutage Liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu lüften“, mithin das Ausforschen eines für die freie Entfaltung der Persönlichkeit wesentlichen Lebensbereichs, das unter Umständen bis in die Intimsphäre des Betroffenen dringen könne. Demgemäß mache die beim Betreten einer Wohnung unvermeidliche Kenntnisnahme von Personen, Sachen und Zuständen den Eingriff in die Wohnungsfreiheit noch nicht zu einer Durchsuchung. Beginne die Behörde mit der Durchführung einer Abschiebung oder einer anderen Vollstreckungsmaßnahme, ohne zuvor eine richterliche Durchsuchungsanordnung beantragt zu haben, gehe sie das Risiko ein, die Maßnahme vor Ort abbrechen zu müssen, weil es sich als erforderlich erweise, eine Durchsuchung durchführen zu müssen. Das ist eine möglicherweise nicht besonders realitätsnahe Betrachtungsweise.

Im Verfahren 1 CN 1.22 ging es nur noch darum, ob ein Normenkontrollverfahren gegen die Hausordnung der Landeserstaufnahmeeinrichtung Freiburg überhaupt noch zulässig sein konnte, nachdem die Hausordnung während des laufenden Verfahrens außer Kraft getreten war und durch eine Neufassung ersetzt wurde. Das BVerwG verneinte diese Frage, anders als noch die Vorinstanz. Das Rechtsschutzinteresse für einen Normenkontrollantrag bestehe trotz Erledigung der angegriffenen Rechtsvorschrift zwar fort, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht werde, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden könne. Das sei aber bei der Hausordnung einer Flüchtlingsunterkunft nicht der Fall, weil sie nicht auf eine kurzfristige Geltungsdauer angelegt sei. Die Geltungsdauer der angegriffenen Regelungen habe nahezu zwei Jahre betragen, so dass während dieser Zeit die Durchführung eines Normenkontrollverfahrens jedenfalls nicht von vornherein typischerweise ausgeschlossen gewesen sei. Angesichts der aktuellen Dauer von Verfahren vor deutschen Verwaltungsgerichten ist auch das eine vielleicht nicht besonders realitätsnahe Annahme.

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ISSN 2943-2871