In einer Pressemitteilung vom 28. September 2023 informiert das Bundesverwaltungsgericht darüber, dass eine zur Aufnahmesituation in Italien auf Grundlage des neuen § 78 Abs. 8 AsylG eingereichte Tatsachenrevision wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist unzulässig ist. Einem Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wollte das BVerwG nicht stattgeben, da die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist nicht unverschuldet gewesen sei. Auch im elektronischen Rechtsverkehr müsse mit einer nicht jederzeit reibungslosen Übermittlung gerechnet werden, der durch eine zeitliche Sicherheitsreserve Rechnung zu tragen sei. Dem genüge ein erstmaliger, letztendlich fehlgeschlagener Übermittlungsversuch der Revisionsbegründungsschrift sieben Minuten vor Fristablauf nicht.
Die Tatsachenrevision war in dem Verfahren durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Koblenz vom 27. März 2023 (Az. 13 A 10948/22.OVG) zugelassen worden, weil es in seiner Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Italien von der Beurteilung durch das Oberverwaltungsgericht Münster abgewichen war. So steht immerhin vorerst nicht zu befürchten, dass die flüchtlingsfreundliche Rechtsprechung des OVG Münster vom BVerwG einkassiert wird.
Mit der Auslegung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Juli 2019 (Az. 1 C 45.18), wonach bei der Rückkehrprognose nach § 60 Abs. 5 AufenthG im Regelfall von einer Rückkehr im Familienverband auszugehen sei, beschäftigt sich das Verwaltungsgericht Braunschweig in seinem Urteil vom 12. September 2023 (Az. 2 A 135/20). Familienangehörige außerhalb der Kernfamilie, insbesondere Eltern und volljährige Geschwister erwachsener Kläger, seien im Rahmen einer „realitätsnahen Rückkehrprognose“ nur zu berücksichtigen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass eine Beistandsgemeinschaft im Herkunftsland tatsächlich gelebt und auf Dauer ausgerichtet sein werde. Stehe die Rückkehr einer alleinstehenden weiblichen Klägerin in eine patriarchalisch geprägte Gesellschaft in Rede, brauche es bezüglich männlicher Verwandter außerhalb der Kernfamilie zudem die hinreichende Gewissheit, dass diese bereit und imstande seien, die Verantwortung für die Sicherheit der Betroffenen zu übernehmen.
Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg hat in seinem Beschluss vom 11. September 2023 (Az. 2 L 38/20) Zweifel daran, ob eine Abschiebungsandrohung stets eine Rückkehrentscheidung im Sinne der EU-Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG darstellt. Die Regelungsperspektive der Rückführungsrichtlinie sei auf die Rückkehr in einen Drittstaat gerichtet, möglicherweise würden von ihr daher auch nur entsprechende Ausreisepflichten erfasst. Dann wäre die Androhung der Abschiebung in einen anderen EU-Mitgliedstaat, etwa gemäß § 35 AsylG, keine Rückkehrentscheidung. Das OVG hat die Frage letztlich offenlassen können.
Das Kammergericht gibt sich in der Anwendung des Personenstandsgesetzes in seinem Beschluss vom 12. September 2023 (Az. 1 W 72/23) unerbittlich. Befürchte ein Ausländer bei Bemühungen um die Ausstellung eines heimatstaatlichen Reisepasses Nachteile für die Entscheidung über seinen Asylfolgeantrag, rechtfertige dies keine Absenkung der Nachweisanforderungen im personenstandsrechtlichen Verfahren. Vorübergehende Hindernisse für den Nachweis eintragungsrelevanter Tatsachen führten im Personenstandsverfahren grundsätzlich nicht zu einer Absenkung der Nachweisanforderungen. Gehe es wie hier um den Nachweis der Identität, sei es dem Antragsteller zuzumuten, mit der Stellung eines auf Berichtigung des Geburtenregisters gerichteten Antrags bis zum Abschluss des Asylfolgeverfahrens zu warten.
Im Juni hatte das Bundesverwaltungsgericht kurz und per Pressemitteilung über seine zwei Entscheidungen berichtet, in denen es um die Rechtmäßigkeit des Betretens von Räumen in Flüchtlingsunterkünften ging, nun hat es auch die Volltexte seiner beiden Urteile vom 15. Juni 2023 (Az. 1 CN 1.22 und 1 CN 10.22) veröffentlicht.
Im Verfahren 1 CN 10.22 stellte das BVerwG fest, dass das einem Ausländer zugewiesene Zimmer in einer Aufnahmeeinrichtung gemäß § 47 Abs. 1 AsylG in der Regel eine Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG sei. Eine Durchsuchung der Wohnung, für die eine vorherige richterliche Anordnung erforderlich wäre (Art. 13 Abs. 2 GG), liege jedoch nicht schon dann vor, wenn die Wohnung überhaupt betreten werde, sondern nur dann, wenn als zweites Element die Vornahme von Handlungen in den Räumen hinzukomme, etwa die Suche nach Personen oder Gegenständen. Kennzeichnend für die Durchsuchung sei die Absicht, etwas „nicht klar zutage Liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu lüften“, mithin das Ausforschen eines für die freie Entfaltung der Persönlichkeit wesentlichen Lebensbereichs, das unter Umständen bis in die Intimsphäre des Betroffenen dringen könne. Demgemäß mache die beim Betreten einer Wohnung unvermeidliche Kenntnisnahme von Personen, Sachen und Zuständen den Eingriff in die Wohnungsfreiheit noch nicht zu einer Durchsuchung. Beginne die Behörde mit der Durchführung einer Abschiebung oder einer anderen Vollstreckungsmaßnahme, ohne zuvor eine richterliche Durchsuchungsanordnung beantragt zu haben, gehe sie das Risiko ein, die Maßnahme vor Ort abbrechen zu müssen, weil es sich als erforderlich erweise, eine Durchsuchung durchführen zu müssen. Das ist eine möglicherweise nicht besonders realitätsnahe Betrachtungsweise.
Im Verfahren 1 CN 1.22 ging es nur noch darum, ob ein Normenkontrollverfahren gegen die Hausordnung der Landeserstaufnahmeeinrichtung Freiburg überhaupt noch zulässig sein konnte, nachdem die Hausordnung während des laufenden Verfahrens außer Kraft getreten war und durch eine Neufassung ersetzt wurde. Das BVerwG verneinte diese Frage, anders als noch die Vorinstanz. Das Rechtsschutzinteresse für einen Normenkontrollantrag bestehe trotz Erledigung der angegriffenen Rechtsvorschrift zwar fort, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht werde, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden könne. Das sei aber bei der Hausordnung einer Flüchtlingsunterkunft nicht der Fall, weil sie nicht auf eine kurzfristige Geltungsdauer angelegt sei. Die Geltungsdauer der angegriffenen Regelungen habe nahezu zwei Jahre betragen, so dass während dieser Zeit die Durchführung eines Normenkontrollverfahrens jedenfalls nicht von vornherein typischerweise ausgeschlossen gewesen sei. Angesichts der aktuellen Dauer von Verfahren vor deutschen Verwaltungsgerichten ist auch das eine vielleicht nicht besonders realitätsnahe Annahme.