In seinem Urteil vom 7. September 2021 (Az. 1 C 47.20) definiert das Bundesverwaltungsgericht eine Dogmatik zur Bestimmung der Dauer des im Falle einer Abschiebung gemäß § 11 AufenthG zu erlassenen Einreise- und Aufenthaltsverbots. Das BVerwG hat keine Bedenken, ein abschiebungsbedingtes Einreise- und Aufenthaltsverbot in einer Situation, die keine Besonderheiten gegenüber gleichgelagerten Fällen aufweist, auf die Dauer von 30 Monaten zu befristen und damit den durch Art. 11 Abs. 2 Satz 1 RL 2008/115/EG und § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgegebenen Rahmen zur Hälfte auszuschöpfen. Es sei außerdem nicht geboten, bereits „niederschwellige Integrationserfolge“ zu berücksichtigen, etwa in Deutschland erworbene Kenntnisse der deutschen Sprache, einen Schulbesuch, eine bestandene Integrations- oder Fördermaßnahme, die Ausübung einer kurzfristigen Aushilfstätigkeit, ehrenamtliches oder gesellschaftliches Engagement, weil sie keine rechtliche Grundlage für eine legale Wiedereinreise legten und damit kein beachtliches Rückkehrinteresse begründeten.
Anders verhalte es sich jedoch, wenn der Ausländer während seines asylverfahrensbezogenen Aufenthalts im Bundesgebiet das zentrale Merkmal einer in Abschnitt 4 des Kapitels 2 des Aufenthaltsgesetzes geregelten Anspruchsgrundlage für die Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt habe (etwa durch den erfolgreichen Abschluss einer im Bundesgebiet durchgeführten qualifizierten Berufsausbildung), weil ein dieser Anforderung genügender Integrationserfolg ein aufenthaltsrechtlich beachtliches Rückkehrinteresse begründe, dem im Lichte des Rechts auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK auch ungeachtet fortbestehender Bindungen des Ausländers an sein Herkunftsland Rechnung zu tragen sei. In solchen Fällen erscheine es angezeigt, die Geltungsdauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf die Hälfte des in Fällen ohne erkennbare Besonderheiten bestimmten Wertes, bei ansonsten angesetzten 30 Monaten mithin auf die Dauer von 15 Monaten festzusetzen.
In einem Obiter Dictum führt das BVerwG aus, dass ein Ausländer, der seine Berufsausbildung schon während des Asylverfahrens abgeschlossen und deswegen keine Ausbildungsduldung erhalten habe, nicht aus diesem Grund von der Anwendung des § 19d Abs. 1a AufenthG ausgeschlossen werden dürfe, obgleich der Wortlaut dieser Norm den Besitz einer Duldung nach § 60c AufenthG voraussetzt.
In der Konstellation, dass nach erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens in einem anderen EU-Staat ein weiterer Asylantrag in Deutschland gestellt wird und an sich ein Zweitantragsverfahren gemäß § 71a AsylG durchzuführen wäre, hält das Oberverwaltungsgericht Bautzen die Frage der Vereinbarkeit des deutschen Zweitantragsverfahrens mit der EU-Asylverfahrens-Richtlinie 2013/32/EU für grundsätzlich bedeutend und hat mit Beschluss vom 27. September 2021 (Az. 6 A 951/18.A) die Berufung zugelassen. Wenngleich der Beschluss des OVG keine inhaltlichen Ausführungen enthält, ist anzunehmen, dass es darum geht, ob die Asylverfahrens-Richtlinie die grenzüberschreitende Anwendung des Folgeantragskonzepts erlaubt oder ob der Asylantrag in Deutschland wie ein Erstantrag behandelt werden muss. Dazu hat bereits das VG Schleswig mit Beschluss vom 16. August 2021 (Az. 9 A 178/21) ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH initiiert.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg weist in seinem Beschluss vom 21. Oktober 2021 (Az. OVG 3 S 43/21) die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen eine erstinstanzliche Entscheidung zurück, in der sie zur Erteilung eines Visums zum Familiennachzug gemäß § 36 Abs. 2 AufenthG verpflichtet worden war. Es komme weder darauf an, so das OVG, ob sich die Familienangehörigen bereits bei ihrer Trennung der daraus entstehenden Schwierigkeiten bewusst gewesen seien, noch auf subjektive Momente oder Vorstellungen der Familienangehörigen im Zeitpunkt der Trennung bzw. der Flucht, auch nicht auf die Frage, ob es sich bei der Trennung um eine „unumgängliche Entscheidung“ handele, weil § 36 Abs. 2 AufenthG eine objektive Beurteilung verlange und sich nicht als Sanktionsnorm in dem Sinne begreifen lasse, dass ein nach dieser Regelung objektiv gebotener Familiennachzug mit der Begründung versagt werden dürfe, die Familienangehörigen hätten sich „sehenden Auges“ in diese Situation begeben. Der Beschluss des OVG enthält weitere nützliche Argumentationen, etwa zur Lebensunterhaltssicherung, die in vergleichbaren Fällen hilfreich sein können.
In seinem Beschluss vom 8. September 2021 (Az. 3 E 1270/21) hält der Verwaltungsgerichtshof Kassel einen behördlichen Antrag auf Anordnung von Ersatzzwangshaft, der mit mangelnder Mitwirkung des Betroffenen an der Passbeschaffung begründet wurde, für grundsätzlich unverhältnismäßig. Der Behörde, so der VGH, hätte ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden, nämlich die Anordnung des persönlichen Erscheinens gemäß § 82 Abs. 4 AufenthG und deren ggf. zwangsweise Durchsetzung im Wege einer Botschaftsvorführung. Erstaunlich ist an dieser Entscheidung vor allem, dass das mit dem Antrag der Behörde erstinstanzlich befasste VG Gießen offenbar keine Probleme mit der Verhältnismäßigkeit gesehen hat.
Enthält ein Verwaltungsakt die ausdrückliche Festlegung, dass die Ausreisepflicht erst mit Bestandskraft des Bescheids eintrete, sei diese behördliche Entscheidung allein für die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht maßgebend, so der Verwaltungsgerichtshof Kassel in seinem Beschluss vom 29. September 2021 (Az. 3 B 1890/20). Auf eventuell abweichende gesetzliche Regelungen, die eine andere behördliche Entscheidung hätten tragen können, komme es dann nicht an, so der VGH. Hinter dieser Entscheidung steht vermutlich der letztlich aus Art. 20 GG abzuleitende Grundsatz des Vertrauensschutzes, wenngleich der VGH dies offen gelassen hat.
Das Oberverwaltungsgericht Schleswig weist in seinem Beschluss vom 14. Oktober 2021 (Az. 4 MB 49/21) darauf hin, dass bei der Prüfung der Lebensunterhaltssicherung gemäß § 25b Abs. 1 Nr. 3 AufenthG die Rechtsprechung des BVerwG zur Bedarfsgemeinschaft nicht anwendbar sei, sofern die Betroffenen Leistungen nach dem AsylbLG beziehen. In diesem Fall liege eine Einsatzgemeinschaft gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG, § 27 Abs. 2 SGB XII vor, bei der keine § 9 Abs. 2 S. 3 SGB II entsprechende horizontale Verteilung des Einkommens stattfinde. Die Konsequenz ist, wie im vorliegenden Fall, dass bereits die Lebensunterhaltssicherung eines Familienmitglieds ausreichen kann, um der gesamten Familie auf dem Umweg über Art. 6 GG ein Bleiberecht zu vermitteln.
Werde die Ausreisepflicht eines Ausländers erst durch eine mit der Ablehnung eines Asylantrags ergangene Abschiebungsanordnung begründet, müsse die wirksame Bekanntgabe dieser Anordnung vor der Anordnung von Sicherungshaft festgestellt werden, so der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 31. August 2021 (Az. XIII ZB 97/19). In einer solchen Situation sei die Abschiebungsanordnung nicht nur Vollstreckungshandlung, sondern Grundlage der Ausreisepflicht; sofern sie nicht schon aufgrund der Zustellungsfiktion (§ 10 Abs. 2 S. 4 AsylG) als bekannt gegeben gelte, könne die Zustellung allerdings durch Akteneinsicht des Verfahrensbevollmächtigten nachgeholt werden. Der BGH korrigiert mit dieser Entscheidung seinen Beschluss vom 21. August 2019 (Az. V ZB 60/17), in dem er etwas zu generell entschieden hatte, dass es ausreichend sei, wenn eine Abschiebungsanordnung erst während der angeordneten Haft erlassen werde.
Werde nach Stellung eines Asylfolgeantrags Abschiebungshaft wegen unerlaubter Einreise angeordnet und lehne das Bundesamt den Folgeantrag erst nach Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab, müsse der Betroffene danach im Haftbeschwerdeverfahren erneut persönlich angehört werden, so der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 21. September 2021 (Az. XIII ZB 140/19). Das Wiederaufgreifen des Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 5, 8 AsylG, § 51 Abs. 5 VwVfG sei ein neuer tatsächlicher Gesichtspunkt, zu dem der Betroffene zwingend angehört werden müsse, das Unterlassen einer solchen Anhörung mache die Abschiebungshaft rechtswidrig. Die Entscheidung ist schon deswegen richtig, weil mit der Durchführung eines Folgeverfahrens jedenfalls der Haftgrund der unerlaubten Einreise entfällt.
Mit Beschluss vom 31. August 2021 (Az. XIII ZB 118/19) hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass dann, wenn das Beschwerdegericht die Abschiebungshaft auf einen neuen Haftgrund stützen will, der Betroffene erneut persönlich anzuhören sei. Unterbleibe eine Anhörung bei Auswechslung des Haftgrundes, mache dies die Haft rechtswidrig, ohne dass es darauf ankomme, dass die Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhe. Die Entscheidung präzisiert die sich aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ergebenden Anforderungen an das Haftbeschwerdeverfahren.
Die Antwort der Bundesregierung vom 14. Oktober 2021 (BT-Drs. 19/32678) auf eine Kleine Anfrage zur Asylstatistik 2021 enthält einige interessante statistische Aussagen zum Stand asylgerichtlicher Verfahren in der ersten Jahreshälfte 2021. Danach waren am 30. Juni 2021 insgesamt 167.449 verwaltungsgerichtliche Verfahren gegen Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge anhängig, darunter 47 Verfahren am Bundesverwaltungsgericht und 12.647 Verfahren allein am Verwaltungsgericht Berlin (S. 39f.). In der ersten Jahreshälfte 2021 fielen 35,1 Prozent der gerichtlichen Entscheidungen, in denen inhaltlich entschieden wurde, zu Gunsten der klagenden Schutzsuchenden aus (S. 29f.). Außerdem wird erläutert (S. 16ff.), welche Folgerungen die Bundesregierung aus den zwei EuGH-Urteilen C-441/19 vom 14. Januar 2021 zu Rückkehrentscheidungen gegenüber unbegleiteten Minderjährigen und C-901/19 vom 10. Juni 2021 zu einer wertenden Gesamtschau statt bloß quantitativer Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos bei der Prüfung subsidiären Schutzes ziehen will.