In seinem Beschluss vom 6. Dezember 2022 (Az. 13 ME 270/22) hatte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in einem Verfahren zu entscheiden, in dem es um einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Abschiebung im Vorfeld des neuen Chancen-Aufenthaltsrechts ging. Relevant war in dem Verfahren unter anderem die Voraussetzung der niedersächsischen Vorgriffs-Erlasslage, dass Betroffene sich am maßgeblichen Stichtag (1. Januar 2022) seit mindestens fünf Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder gestattet im Bundesgebiet aufgehalten haben müssen, was das OVG für den Betroffenen verneinte. Er habe einen Antrag auf Verlängerung seiner studienbezogenen Aufenthaltserlaubnis in der Vergangenheit verspätet gestellt, die von der Ausländerbehörde gleichwohl und letztlich rechtsirrig ausgestellte Fiktionsbescheinigung sei unbeachtlich, weil keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, dass die Behörde die gesetzlich nicht eingetretene Fortgeltungswirkung behördlich anordnen wollte. Das erstinstanzlich mit dem Verfahren befasste Verwaltungsgericht hatte noch darauf abgestellt, dass das Zweckwechselverbot des § 16b Abs. 4 S. 1 AufenthG mangels vorgesehener abweichender spezialgesetzlicher Regelung voraussichtlich auch bei Titeln nach § 104c AufenthG-E Geltung beanspruchen werde. Für das OVG war diese Frage nicht mehr entscheidungserheblich, es hielt es aber immerhin für möglich, dass § 104a AufenthG-E auch ohne gesonderte Regelung als eine lex specialis zu § 16b Abs. 4 S. 1 AufenthG anzusehen sein könnte.
Das Verwaltungsgericht Hamburg hat in seinem Urteil vom 29. November 2022 (Az. 8 A 4314/21) den Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an einen aus dem Irak geflohenen Jesiden für rechtswidrig gehalten, weil er in Widerspruch zu § 73 Abs. 1 S. 3 AsylG stehe. § 73 Abs. 1 S. 3 AsylG enthalte eine einzelfallbezogene Ausnahme von der Beendigung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich aus dem konkreten Flüchtlingsschicksal besondere Gründe ergäben, die eine Rückkehr unzumutbar erscheinen ließen. Maßgeblich seien Nachwirkungen früherer Verfolgungsmaßnahmen, ungeachtet dessen, dass diese abgeschlossen seien und sich aus ihnen für die Zukunft keine Verfolgungsgefahr mehr ergebe. Der Anwendbarkeit von § 73 Abs. 1 S. 3 AsylG stehe auch nicht entgegen, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ausschließlich auf einer Gruppenverfolgung beruhte.
In einer Abschiebungsandrohung dürfen nur die in Art. 3 Nr. 3 der EU-Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG aufgeführten Länder als Zielstaat der Abschiebung genannt werden, sagt das Verwaltungsgericht Hamburg in seinem Beschluss vom 22. November 2022 (Az. 2 AE 4167/22). Sei wie im entschiedenen Verfahren ungeklärt, aus welchem Herkunftsland der Betroffene komme, dürfe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Abschiebung nicht in ein lediglich angenommenes Herkunftsland androhen. Außerdem dürfe im Anwendungsbereich der EU-Richtlinie 2008/115/EG nicht offengelassen werden, in welches Land die von einer Abschiebungsandrohung betroffene Person abgeschoben werden solle.
Wenn zwei Obergerichte verfolgungsrelevante Tatsachen unterschiedlich bewerten, führt dies noch nicht zur grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG, meint das Oberverwaltungsgericht Bautzen in seinem Beschluss vom 23. November 2022 (Az. 5 A 366/22.A). Im konkreten Verfahren ging es um die Frage, ob syrischen Wehrpflichtigen, die Syrien ohne Genehmigung verlassen haben, bei einer Rückkehr flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung drohen könne, was das OVG Bremen in seinem Urteil vom 23. März 2022 (Az. 1 LB 484/21) bejaht hatte, das OVG Bautzen aber anders sieht. Das Urteil des OVG Bremen sei Ausdruck dessen, so das OVG Bautzen, dass die asylrechtliche Rechtsprechung der Obergerichte hier bei einer nicht völlig eindeutigen, in Teilen ambivalenten Auskunftslage auch nach allseits umfassender Prüfung zu divergierenden Ergebnissen bezüglich Tatsachenfragen geführt habe. Eine solche Divergenz allein begründe keine Anhaltspunkte für einen sich stets neu begründenden tatsächlichen Klärungsbedarf, wenn eine umfassende Prüfung des Obergerichts bereits erfolgt sei.
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Volltext seines Beschlusses vom 7. September 2022 (Az. 1 C 26.21) veröffentlicht, in dem es den Europäischen Gerichtshof zur Klärung der Frage angerufen hatte, ob die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem EU-Mitgliedstaat einen anderen EU-Mitgliedstaat daran hindert, den bei ihm gestellten weiteren Antrag auf internationalen Schutz in einem Fall ergebnisoffen zu prüfen, in dem der Flüchtling nicht in den ersten EU-Mitgliedstaat überstellt werden darf. Das BVerwG hatte im September in einer Pressemitteilung über diese Vorlage berichtet.