Keine Abschiebungshaft ohne Benachrichtigung von Angehörigen oder einer Vertrauensperson

Es verstößt gegen Art. 104 Abs. 4 GG, wenn ein Angehöriger oder eine Vertrauensperson eines Festgehaltenen nicht von einer richterlichen Entscheidung über eine Freiheitsentziehung benachrichtigt wird, sagt das Bundesverfassungsgericht in drei Beschlüssen vom 18. Dezember 2023 (Az. 2 BvR 656/20, 2 BvR 1816/22 und 2 BvR 1210/23), zu denen es am 31. Januar 2024 auch eine Pressemitteilung veröffentlicht hat.

Art. 104 Abs. 4 GG solle ein spurloses Verschwinden inhaftierter Personen verhindern und gewähre den Betroffenen ein subjektives Recht darauf, dass die Vorschrift beachtet werde. Die Benachrichtigung obliege dem Richter, der die Haft oder ihre Fortdauer angeordnet habe und der dafür Sorge tragen müsse, dass die Benachrichtigung unverzüglich erfolge. Allerdings mache die Nichtbeachtung der Benachrichtigungspflicht die Haft nicht rechtswidrig. Die Instanzgerichte hatten in den Verfahren nicht so besonders viel Engagement an den Tag gelegt, um Angehörige oder eine Vertrauensperson zu benachrichtigen. Ein nicht namentlich benannter „Freund“ habe die Anforderungen an eine Vertrauensperson nicht erfüllt, eine bestimmte Person aus „Frankfurt“ hätte nicht benachrichtigt werden können, weil nicht klar gewesen sei, um welches Frankfurt es sich handele, und die Benachrichtigung des Arbeitgebers sei auch nicht möglich gewesen, weil es sich bei einem Arbeitgeber weder um einen Angehörigen noch um eine Vertrauensperson handele. Das geht so nicht, meint das Bundesverfassungsgericht: Werde niemand benachrichtigt und seien die Gründe dafür nicht dokumentiert worden, sei von einem Verstoß gegen Art. 104 Abs. 4 GG auszugehen. Bei Zweifeln an der Wohnanschrift einer zu benachrichtigenden Person sei jedenfalls die Einholung einer Meldeauskunft regelmäßig zumutbar. Solle der Arbeitgeber benachrichtigt werden, liege es nahe, die Personalabteilung zu benachrichtigen.

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ISSN 2943-2871