Aktuelle EuGH-Urteile vom 1.8.2025

Etwas zu spät für den HRRF-Newsletter an diesem Freitag hat der Europäische Gerichtshof heute Mittag drei Urteile zum europäischen Flüchtlingsrecht verkündet. Alle drei Urteile sind noch nicht mittlerweile in deutscher Sprache verfügbar, zu zwei der drei Urteile gibt es außerdem deutschsprachige Pressemitteilungen des Gerichtshofs. Ich probiere mal, die drei Urteile hier kurz vorzustellen und zusammenzufassen:

Sichere Herkunftsstaaten

  • Urteil vom 1. August 2025 (Rs. C-758/24, C-759/24, Alace) sowie Pressemitteilung.
  • Auslegung der EU-Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU, insbesondere ihrer Artt. 36 und 37 über sichere Herkunftsstaaten.
  • Die Bestimmung von Herkunftsstaaten als sichere Herkunftsstaaten muss einer gerichtlichen Überprüfung unterliegen können: Jedes nationale Gericht, das mit Klagen von Schutzsuchenden gegen die Ablehnung ihres Asylantrags wegen ihrer Herkunft aus einem sicheren Herkunftsstaat befasst ist, muss überprüfen können, ob bei der Bestimmung eines Herkunftsstaat als sicherer Herkunftsstaat die in Anhang I der EU-Asylverfahrensrichtlinie genannten Voraussetzungen für eine solche Bestimmung eingehalten wurden.
  • Der EU-Mitgliedstaat, der einen Staat als sicheren Herkunftsstaat bestimmt, muss einen ausreichenden und angemessenen Zugang zu den Informationsquellen gewährleisten, auf denen diese Bestimmung beruht, so dass es betroffenen Schutzsuchenden möglich ist, in voller Kenntnis der Sachlage zu entscheiden, ob es sinnvoll ist, das zuständige Gericht anzurufen, und es andererseits diesem Gericht ermöglichen muss, eine Entscheidung über einen Asylantrag zu überprüfen.
  • Nationale Gerichte können bei ihrer Überprüfung, ob ein Herkunftsstaat zu Recht als sicherer Herkunftsstaat bestimmt wurde, auch auf von ihnen selbst eingeholte Informationen zurückgreifen, sofern sie sich einerseits von der Zuverlässigkeit dieser Informationen überzeugen und andererseits die Rechte der Prozessparteien wahren.
  • Art. 37 der Richtlinie erlaubt nicht, einen Staat als sicheren Herkunftsstaat zu bestimmen, wenn der Staat für bestimmte Personengruppen nicht sicher ist.
  • Das könnte sich alles in Kürze ändern, weil die neue EU-Asylverfahrensverordnung 2024/1348 großzügigere Regeln über die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten enthält und weil die EU-Mitgliedstaaten derzeit beabsichtigen, das Inkrafttreten dieser Verordnung vorzuziehen (siehe die Rn. 106-108 des Urteils).

Aufnahmebedingungen und unvorhersehbare Umstände

  • Urteil vom 1. August 2025 (Rs. C-97/24, S.A., R.J.) sowie Pressemitteilung.
  • Auslegung der EU-Richtlinie über Aufnahmebedingungen 2013/33/EU, insbesondere deren Artt. 17 und 18 über die Unterbringung von Schutzsuchenden. Das Vorabentscheidungsersuchen geht auf Schadensersatzklagen zurück, die betroffene Schutzsuchende in Irland gegen den irischen Staat angestrengt haben.
  • Das EU-Recht ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat, der einem Schutzsuchenden über mehrere Wochen hinweg keinen Zugang zu den in der Richtlinie vorgesehenen sozialen Leistungen gewährleistet hat, sich seiner Haftung nicht entziehen darf, indem er sich auf eine vorübergehende Erschöpfung der in seinem Hoheitsgebiet normalerweise für Schutzsuchende verfügbaren Unterbringungskapazitäten aufgrund eines Zustroms beruft, der aufgrund seines erheblichen und plötzlichen Charakters unvorhersehbar und unvermeidbar war.
  • Die in Art. 18 Abs. 9 der Richtlinie enthaltene Ausnahme, wenn „die üblicherweise verfügbaren Unterbringungskapazitäten vorübergehend erschöpft sind“, ist eng auszulegen.

Freiwillige Ausreise und Ausreisefristen

  • Urteil vom 1. August 2025 (Rs. C-636/23, C-637/23), Al Hoceima.
  • Auslegung der EU-Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG, insbesondere ihres Art. 7 über die freiwillige Ausreise von Drittstaatsangehörigen, gegen die eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie sieht vor, dass eine angemessene Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise zu gewähren ist. Gemäß Art. 7 Abs. 4 gilt das nicht, wenn Fluchtgefahr besteht, der Antrag auf einen Aufenthaltstitel als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt worden ist oder wenn die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt.
  • Die Nichtgewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise ist keine bloße Vollstreckungsmaßnahme, die die Rechtsstellung eines betroffenen Drittstaatsangehörigen nicht beeinträchtigt, sondern im Gegenteil justiziabel, muss also im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens überprüfbar sein.
  • Ein auf einer Rückkehrentscheidung beruhendes Einreiseverbot darf auch dann noch verhängt werden, wenn seit dem Erlass der Rückkehrentscheidung, die keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt, ein geraumer Zeitraum vergangen ist.
  • Die in einer Rückkehrentscheidung enthaltene Bestimmung über die Frist für die freiwillige Ausreise ist integraler Bestandteil der mit dieser Entscheidung auferlegten oder festgelegten Rückführungspflicht, so dass die Entscheidung in ihrer Gesamtheit aufzuheben ist, wenn diese Bestimmung über die Frist für die freiwillige Ausreise für rechtswidrig befunden wird.

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ISSN 2943-2871