Asylverfahren in Ruanda verstoßen gegen Non-Refoulement-Gebot

In sechs überaus deutlichen Urteilen (Az. 2023/0093, 2023/0094, 2023/0095, 2023/0096, 2023/0097 und 2023/0098), die jeweils einstimmig ergingen, hat das britische Oberste Gericht (Supreme Court) am 15. November 2023 entschieden, dass die geplante Überstellung von Schutzsuchenden aus dem Vereinigten Königreich nach Ruanda rechtswidrig ist und gegen britisches und internationales Recht verstoßen würde. Nach den Plänen der britischen Regierung sollten Schutzsuchende, die irregulär in das Vereinigte Königreich eingereist sind, nach Ruanda verbracht werden und sollte ihr Asylverfahren dort von ruandischen Behörden durchgeführt werden. Ein etwaig zuerkannter Schutzstatus sollte den Betroffenen lediglich ein Aufenthaltsrecht in Ruanda vermitteln, nicht dagegen ein Recht auf Rückkehr in das Vereinigte Königreich.

Nach Ansicht des Supreme Court weise das Asylsystem von Ruanda gravierende Schwächen und Mängel auf, unter anderem fehlende Rechtsschutzmöglichkeiten, so dass eine Überstellung nach Ruanda häufig einem Refoulement gleichkomme. Die Anerkennungsquoten für Schutzsuchende aus Afghanistan, Syrien und dem Jemen lägen in Ruanda bei null Prozent, was auf Vorurteile gegen Flüchtlinge aus diesen Ländern hindeute und ebenfalls nicht mit dem Non-Refoulement-Prinzip vereinbar sei. Die ruandische Regierung hätte zudem ein grundsätzlich falsches Verständnis des internationalen Flüchtlingsschutzes, weil sie etwa argumentiere, dass die summarische Abschiebung von mit gefälschten Papieren einreisenden Schutzsuchenden in keinem Fall ein Refoulement darstelle. Die britische Regierung, so der Supreme Court, werde nicht nur durch britisches Recht an der Überstellung von Schutzsuchenden nach Ruanda gehindert, sondern auch durch die einschlägigen Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Genfer Flüchtlingskonvention, der UN-Antifolterkonvention und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Zudem stelle das Non-Refoulement-Gebot Völkergewohnheitsrecht dar.

Die Urteile des Supreme Court stellen denkbar hohe Hürden für die weitere Umsetzung der Ruanda-Pläne der britischen Regierung auf. Gleichwohl bemüht sich die Regierung um Schadensbegrenzung und scheint ihre Pläne jedenfalls für den Moment weiter verfolgen zu wollen. Die Vorschläge innerhalb der konservativen Regierungspartei für den Umgang mit den Urteilen reichen von einer Änderung des nationalen britischen Rechts dahingehend, dass Rechtsmittel gegen Überstellungen nach Ruanda vor britischen Gerichten keine aufschiebende Wirkung mehr haben sollen (was das Problem von einstweiligen Maßnahmen des EGMR nicht lösen würde), über eine neue Vereinbarung mit Ruanda, die ein Bleiberecht für alle dorthin überstellten Schutzsuchenden vorsieht (d.h. unabhängig vom Ausgang ihrer Asylverfahren in Ruanda), bis hin zu dem Vorschlag, einfach aus allen völkerrechtlichen Verträgen auszutreten, die das Non-Refoulement-Gebot kodifizieren (was wegen des völkergewohnheitsrechtlichen Charakters des Non-Refoulement-Gebots auch nicht funktionieren würde und überdies neue Schwierigkeiten in Hinblick auf das Karfreitagsabkommen von 1998 aufwerfen würde, das den Nordirland-Konflikt befriedet hat).

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ISSN 2943-2871