Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) im Mai 2024 wird den Flüchtlingsschutz in Deutschland und Europa verändern, zumindest in unzähligen Details, vermutlich aber jedenfalls auf einer faktischen Ebene auch im Grundsätzlichen.
Die GEAS-Reform soll im Juni 2026 in Kraft treten, so dass es langsam an der Zeit ist, sich mit ihr zu beschäftigen. Dieser Artikel sammelt Online-Quellen und Updates zur GEAS-Reform, die für die tägliche Arbeit mit der Reform und mit den Rechtstexten wichtig sind.
1. Beschlossene EU-Rechtsakte
Die folgenden EU-Rechtsakte sind bereits beschlossen und Teil der GEAS-Reform. Alle diese EU-Rechtsakte gibt es auch als praktische gedruckte HRRF-Textausgabe zur GEAS-Reform 2024.
- AMM-Verordnung – Verordnung (EU) 2024/1351 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 über Asyl- und Migrationsmanagement, zur Änderung der Verordnungen (EU) 2021/1147 und (EU) 2021/1060 und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013
- Qualifikationsverordnung – Verordnung (EU) 2024/1347 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des gewährten Schutzes, zur Änderung der Richtlinie 2003/109/EG des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates
- Asylverfahrensverordnung – Verordnung (EU) 2024/1348 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Einführung eines gemeinsamen Verfahrens für internationalen Schutz in der Union und zur Aufhebung der Richtlinie 2013/32/EU
- Aufnahmerichtlinie – Richtlinie (EU) 2024/1346 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen
- Grenzrückführungsverordnung – Verordnung (EU) 2024/1349 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Festlegung des Rückführungsverfahrens an der Grenze und zur Änderung der Verordnung (EU) 2021/1148
- Krisenverordnung – Verordnung (EU) 2024/1359 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Bewältigung von Krisensituationen und Situationen höherer Gewalt im Bereich Migration und Asyl und zur Änderung der Verordnung (EU) 2021/1147
- Resettlementverordnung – Verordnung (EU) 2024/1350 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Schaffung eines Unionsrahmens für Neuansiedlung und Aufnahme aus humanitären Gründen sowie zur Änderung der Verordnung (EU) 2021/1147
- Screening-Verordnung – Verordnung (EU) 2024/1356 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Einführung der Überprüfung von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 767/2008, (EU) 2017/2226, (EU) 2018/1240 und (EU) 2019/817
- Screening-Konsistenz-Verordnung – Verordnung (EU) 2024/1352 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 zur Änderung der Verordnungen (EU) 2019/816 und (EU) 2019/818 zur Einführung der Überprüfung von Drittstaatsangehörigen an den Außengrenzen
- Eurodac-Verordnung – Verordnung (EU) 2024/1358 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2024 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich biometrischer Daten zur effektiven Anwendung der Verordnungen (EU) 2024/1351 und (EU) 2024/1350 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2001/55/EG sowie zur Feststellung der Identität illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser und über der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten, zur Änderung der Verordnungen (EU) 2018/1240 und (EU) 2019/818 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates
Was übrigens das Thema der „korrekten“ Bezeichnung dieser EU-Rechtsakte betrifft, da gibt es keine Einigkeit: Offiziell sind nur die langen Titel der Rechtsakte, während alle Kurztitel und Abkürzungen vermutlich für längere Zeit nicht sonderlich einheitlich verwendet werden dürften. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat im Entscheiderbrief 10/2025 erklärt, wie Kurztitel und Abkürzungen dort gehandhabt werden sollen.
2. Räumlicher Geltungsbereich der GEAS-Reform
Der räumliche Geltungsbereich der neuen EU-Rechtsakte ist schwieriger zu ermitteln, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Das liegt daran, dass von den 27 EU-Mitgliedstaaten Dänemark und Irland Sonderrollen einnehmen und dass einige der Rechtsakte außerdem auch in den vier EFTA-Staaten Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz gelten werden. Im Einzelnen gilt Folgendes:
- In den 25 EU-Mitgliedstaaten außer Dänemark und Irland gelten alle Rechtsakte der GEAS-Reform.
- Irland hat gemäß Protokoll 21 zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäische Union ein Wahlrecht, ob es sich an der Umsetzung der Rechtsakte beteiligen will oder nicht. Bislang hat es für sechs Rechtsakte erklärt, sich beteiligen zu wollen, nämlich für die Qualifikationsverordnung, die Asylverfahrensverordnung, die AMM-Verordnung, die Eurodac-Verordnung, die Krisenverordnung und die Aufnahmerichtlinie, siehe die folgenden Beschlüsse der Europäischen Kommission vom 31. Juli 2024: Beschluss (EU) 2024/2087, Beschluss (EU) 2024/2088, Beschluss (EU) 2024/2089, Beschluss (EU) 2024/2092, Beschluss (EU) 2024/2099 sowie Beschluss (EU) 2024/2100.
- Dänemark hat gemäß Protokoll 22 zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäische Union ebenfalls ein Wahlrecht, ob es sich an der Umsetzung der Rechtsakte beteiligen will oder nicht, siehe die dänischen Parlamentsbeschlüsse B-207 (2023-24) vom 4. Juni 2024 sowie B-10 (2024-25) vom 7. November 2024. Es hat für fünf Rechtsakte erklärt, sich beteiligen zu wollen, nämlich für Teile der AMM-Verordnung (nämlich für die „Dublin-Teile“ III, V und VII der Verordnung, siehe Ziffer 1 des dänischen Parlamentsbeschlusses vom 4. Juni 2024) und der Krisen-Verordnung (nämlich für die Artikel 12 und 13 sowie Artikel 1 bis 6, soweit sie sich auf die Ausnahmen in den Artikeln 12 und 13 beziehen, siehe Ziffer 2 des dänischen Parlamentsbeschlusses vom 4. Juni 2024), für die Screeningverordnung, die Eurodac-Verordnung und die Grenzrückführungsverordnung.
- Die vier EFTA-Staaten Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz beteiligen sich auf Grundlage des jeweiligen Dublin/Eurodac-Assoziierungsübereinkommens (Island, Norwegen, Schweiz) bzw. des Dublin/Eurodac-Assoziierungsprotokolls (Liechtenstein) an der Umsetzung von Teilen der AMM-Verordnung und der Krisen-Verordnung sowie an der Umsetzung der Screeningverordnung, der Eurodac-Verordnung und der Grenzrückführungsverordnung. Ihre Rolle wird damit der Rolle Dänemarks entsprechen.
3. Inkrafttreten der GEAS-Reform
Während die europäischen Rechtsakte durchgehend bereits am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft getreten sind, d.h. am 11. Juni 2024, beginnt ihre tatsächliche Geltung erst später, nämlich am:
- 12. Juni 2026 (Asylverfahrensverordnung, Grenzrückführungsverordnung, Screening-Verordnung, Screening-Konsistenz-Verordnung, Eurodac-Verordnung), bzw. am
- 1. Juli 2026 (AMM-Verordnung, Qualifikationsverordnung, Krisenverordnung).
Teile der AMM-Verordnung treten bereits vor dem 1. Juli 2026 in Kraft, Teile der Eurodac-Verordnung erst später, die Resettlementverordnung gilt mit einer Ausnahme bereits ab ihrem Inkrafttreten, die Aufnahmerichtlinie ist bis zum 12. Juni 2026 in nationales Recht umzusetzen (Art. 35 Abs. 1 Aufnahme-RL).
Es gibt einige Übergangsbestimmungen, die den Übergang vom alten zum neuen europäischen Recht vereinfachen sollen, die zum Teil aber auch unklar formuliert sind:
- Die AMM-Verordnung gilt für Asylanträge, die „nach“ dem 1. Juli 2026 registriert werden (Art. 84 Abs. 1 AMM-Verordnung), während die alte Dublin-III-Verordnung für Asylanträge gelten soll, die „vor“ dem 1. Juli 2026 registriert werden (Art. 84 Abs. 2 AMM-Verordnung), so dass nicht klar ist, welche Regelung auf Asylanträge anwendbar ist, die genau am 1. Juli 2026 registriert werden.
- Die Asylverfahrens-VO gilt gemäß ihrem Art. 79 Abs. 3 für Asylverfahren und Widerrufsverfahren, die ab dem 12. Juni 2026 eingeleitet wurden, während für vor diesem Stichtag eingeleitete Verfahren bis zum Abschluss der Verfahrens nur die alte Asylverfahrens-RL gilt.
4. Entwürfe für weitere EU-Rechtsakte
Nach der Reform ist vor der Reform. Die folgenden EU-Rechtsakte werden derzeit vorbereitet und werden die GEAS-Reform ergänzen (sofern sie denn verabschiedet werden).
- Vorschlag für eine Rückführungsverordnung vom 11. März 2025 (COM(2025) 101 final) sowie eine Pressemitteilung der Europäischen Kommission zu diesem Vorschlag
- Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2024/1348 in Bezug auf die Erstellung einer Liste sicherer Herkunftsländer auf Unionsebene vom 16. April 2025 (COM(2025) 186 final) sowie eine Pressemitteilung der Europäischen Kommission zu diesem Vorschlag
5. Umsetzung der Reform in der EU
Die Europäische Kommission hat einen gemeinsamen Durchführungsplan vorbereitet:
- Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Gemeinsamer Durchführungsplan für das Migrations- und Asylpaket vom 12. Juni 2024 (COM(2024) 251 final)
- Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen: Operative Checkliste und Liste der zu erlassenden Durchführungsrechtsakte und delegierten Rechtsakte der Kommission zur Durchführung des Migrations- und Asylpakets vom 12. Juni 2024 (SWD(2024) 251 final)
6. Umsetzung der Reform in Deutschland
Obwohl die meisten EU-Rechtsakte der GEAS-Reform in Form europäischer Verordnungen verabschiedet wurden, die in den EU-Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar sind und keiner nationalen Umsetzung bedürfen, ist natürlich dennoch eine Art von Umsetzung erforderlich, und sei es nur, um die europäischen Regelungen mit den nationalen Behördenstrukturen in Übereinstimmung zu bringen.
- Nationaler Implementierungsplan (NIP) für Deutschland vom 20. Dezember 2024
- Referenten- und Regierungsentwürfe eines GEAS-Anpassungsgesetzes (Sommer 2025) sowie Stand des Gesetzgebungsverfahrens
- Referenten- und Regierungsentwürfe eines GEAS-Anpassungsfolgengesetzes (Sommer 2025) sowie Stand des Gesetzgebungsverfahrens
Die Umsetzung der GEAS-Reform in zwei getrennten Gesetzgebungsvorhaben hat ihre Ursache übrigens darin, dass die in den Gesetzgebungsvorhaben vorgeschlagenen Änderungen im Bundesrat überwiegend nicht zustimmungsbedürftig sind (GEAS-Anpassungsgesetz), teilweise aber eben schon (GEAS-Anpassungsfolgengesetz), und die Bundesregierung die Mitwirkung (und das Veto-Recht) des Bundesrats offensichtlich auf ein Minimum beschränken wollte.
Sobald die beiden deutschen Umsetzungsgesetze verabschiedet sind, was vermutlich im November 2025 passieren wird, wird es die HRRF-Textausgabe Deutsches Migrationsrecht wieder als gedruckte Ausgabe geben, aktualisiert und mit allen Änderungen, die sich aus der GEAS-Reform ergeben. Wie das genau aussehen wird, habe ich in einem Blog-Beitrag aufgeschrieben.

