Das Landgericht Berlin hat in seinem Urteil vom 6. Juni 2023 (Az. 65 S 39/23) festgehalten, dass der Wunsch eines Wohnungsmieters, aus humanitären Gründen eine geflüchtete Frau aus der Ukraine aufzunehmen, ein berechtigtes Interesse an einer Untervermietung begründet. § 533 Abs. 1 BGB regelt, dass der Mieter die Zustimmung des Vermieters zur Untervermietung verlangen kann, wenn „für den Mieter“ ein solches „berechtigtes Interesse“ entsteht. Während das Amtsgericht München in seinem Urteil vom 20. Dezember 2022 (Az. 411 C 10539/22) die Klage eines Mieters gegen den Vermieter auf Zustimmung zur Untervermietung noch mit der Begründung abgewiesen hatte, dass § 553 Abs. 1 BGB nicht geschaffen wurde, damit der Mieter letztlich die Interessen anderer Personen (nämlich der Geflüchteten) wahrnehmen könne, sieht das LG Berlin das liberaler.
Ein berechtigtes Interesse des Mieters sei nämlich schon dann anzunehmen, wenn ihm vernünftige Gründe zur Seite stünden, die seinen Wunsch nach Überlassung eines Teils der Wohnung an Dritte nachvollziehbar erscheinen ließen. Bei der Ausfüllung des Begriffs des „berechtigten Interesses“ sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in besonderem Maße die Wertordnung der Grundrechte zu berücksichtigen, die die Auslegung des Bürgerlichen Rechts beeinflusse, wo dieses sich, wie im Fall der Erlaubnis zur Untervermietung, unbestimmter Rechtsbegriffe bediene. Dass der Wunsch der Klägerin, mit einem aus einem Kriegsgebiet geflüchteten Menschen eine häusliche Gemeinschaft zu begründen, um ihn zu unterstützen, nicht unter den Schutz der nach der BGH-Rechtsprechung maßgeblichen Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG fallen soll, ließe sich auch deshalb nicht begründen, weil das Grundgesetz aus der Erfahrung und dem Leid zweier Weltkriege mit gigantischen Flüchtlingsströmen entstanden und diese in die im Grundgesetz getroffenen Wertentscheidungen eingeflossen seien. Soweit in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten werde, dass „allgemeine humanitäre Erwägungen“ oder „Interessen“ nicht ausreichen sollen, weil es sich immer um ein Interesse gerade des Mieters selbst handeln müsse, möge dem zuzugeben sein, dass sich bezüglich humanitärer Gesichtspunkte ein Bezug zu dem Mieter ergeben müsse, der die Erlaubnis zur Untervermietung begehrt, etwa dadurch, dass er sich diese Erwägungen und Interessen zu eigen mache. Im entschiedenen Verfahren ergebe sich der Bezug zum Mieter ohne Weiteres daraus, dass sein Wunsch auf eigenen (höchst)persönlichen ethischen Grundüberzeugungen beruhe.
Der o.g. Link zum Volltext des Urteils dürfte nur noch einige Tage funktionieren. Danach ist hoffentlich mit baldiger Veröffentlichung des Urteils auf anderen Internetplattformen zu rechnen.
Ein erstinstanzliches asylgerichtliches Urteil leidet nicht schon dann an einem Begründungsmangel gemäß § 138 Nr. 6 VwGO, der zur Zulassung der Berufung führen muss, wenn das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen weder den Begriff des subsidiären Schutzes noch die Vorschrift des § 4 AsylG erwähnt, sagt der Verwaltungsgerichtshof München recht spitzfindig in seinem Beschluss vom 10. Juli 2023 (Az. 14 ZB 22.31080). Im entschiedenen Verfahren enthalte das verwaltungsgerichtliche Urteil nämlich, so der VGH, in seinen Entscheidungsgründen Aussagen, die (immerhin) nach ihrem Gesamtzusammenhang für eine eigenständige verwaltungsgerichtliche Begründung zur Verneinung subsidiären Schutzes sprächen. So resümiere das Verwaltungsgericht etwa in den Entscheidungsgründen, dass die vom Kläger glaubhaft gemachten Aktivitäten zur Begründung einer ihm konkret drohenden Rückkehrgefährdung im Ergebnis nicht genügten, und greife mit den Worten „Begründung“ und „Rückkehrgefährdung“ Kriterien auf, die auch im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG („Gründe“, „drohen“) eine Rolle spielten.
Der VGH erläutert in seinem Beschluss außerdem, dass das Verwaltungsgericht auch keine „selbständigen“ Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne von § 146 ZPO übergangen habe. Darunter seien solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu verstehen, die den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bildeten. Ob ein Erkenntnismittel wie etwa eine Auskunft des Auswärtigen Amts ein „selbständiges“ Angriffs- und Verteidigungsmittel für die Zuerkennung subsidiären Schutzes sei, dessen Übergehen ein Urteil im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO unvollständig machen könne, hänge im konkreten Einzelfall davon ab, ob sich eine Zuerkennung subsidiären Schutzes tatbestandlich vollständig aus diesem Erkenntnismittel herleiten lasse.
Will eine Behörde bei minderjährigen Asylbewerbern die Kostenübernahme für medizinisch erforderliche Behandlungen verweigern, weil diese nicht zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich seien, so bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung, sagt das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in seinem Beschluss vom 20. Juni 2023 (Az. L 8 AY 16/23 B ER). Vor allem bei Kindern müsse im Lichte des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und unter Berücksichtigung der UN-Kinderrechtskonvention besonders gerechtfertigt werden, wenn eine nach den hiesigen Lebensverhältnissen medizinisch erforderliche Behandlungsmaßnahme als nicht zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich abgelehnt werden solle. Die Behörde müsse dazu neben den Umständen des Einzelfalles auch die Qualität des betroffenen (Grund-)Rechts, das Ausmaß und die Intensität der tatsächlichen Beeinträchtigung im Falle der Leistungsablehnung sowie die voraussichtliche und bisherige Aufenthaltsdauer des Ausländers in Deutschland einbeziehen.
Wer kennt es nicht: Erst muss es hektischen Behördenalltag wieder einmal schnell gehen, dann geraten die Formblätter durcheinander, und am Ende steht in der Rechtsbehelfsbelehrung eines Asylbescheids, dass eine Klage gegen den Bescheid beim Bundesverwaltungsgericht zu erheben sei. Wenn der vom Bescheid Betroffene das ernst nimmt und die erstinstanzliche Klage dort tatsächlich einreicht, muss das BVerwG auch entscheiden, und sei es nur, um sich für unzuständig zu erklären. So jedenfalls alles vor kurzem tatsächlich passiert, siehe den Beschluss des BVerwG vom 4. Juli 2023 (Az. 1 A 2.23).
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