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Ausgabe 17 • 15.10.2021

Berliner Erpressung

Diese Bezeichnung einer so wahrgenommenen Prozesstaktik des Auswärtigen Amts mag übertrieben sein, fragwürdig ist die Praxis des Amts gleichwohl. Außerdem in dieser Ausgabe eine umfangreiche und komplexe Entscheidung zur Flüchtlingsanerkennung für einen staatenlosen Palästinenser aus Syrien, der Münchner Infobus für Flüchtlinge sowie einwanderungspolitische Gründe, Eilrechtsschutz, Richtervorbehalt, Rügerecht und Abschiebungshaft.

„Berliner Erpressung“: Familiennachzug vor Gericht

tagesschau und FragDenStaat berichten in dieser Woche darüber, dass ein großer Teil der gegen das Auswärtige Amt in Hinblick auf Familiennachzug angestrebten Klagen in Vergleichen ende, bei denen die Kläger die Verfahrenskosten tragen müssten. Dabei würden auch in eigentlich erfolgsversprechenden Fällen Klagen im Tausch für ein schnelleres Verfahren zurückgezogen, das Auswärtige Amt vermeide so die Schaffung von Präzedenzfällen und komme ohne Kosten davon.

Flüchtlingsschutz für staatenlosen Palästinenser aus Syrien

Das Oberverwaltungsgericht Saarlouis hat in seinem ausführlichen Urteil vom 5. Oktober 2021 (Az. 2 A 153/21) die einem staatenlosen Palästinenser aus Syrien erstinstanzlich bereits 2016 zugesprochene Flüchtlingseigenschaft bestätigt. Das Verfahren war zwischenzeitlich bis zum EuGH (Urteil vom 13. Januar 2021, Az. C-507/19) gelangt, zuletzt hatte das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 27. April 2021 (Az. 1 C 2.21) darüber entschieden.

Infobus für Flüchtlinge: Kein Zugangsrecht

Medien hatten bereits im Sommer über das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs München berichtet, mit dem die Klage des Münchner Flüchtlingsrats auf Zugang des Infobusses für Flüchtlinge zum Gelände von Aufnahmeeinrichtungen abgewiesen wurde, sofern die Beraterinnen und Berater nicht von einer dort untergebrachten Person mandatiert seien; nunmehr liegt auch der Wortlaut des Urteils vom 29. Juli 2021 (Az. 5 BV 19.2245) vor. Interessant, wenngleich inhaltlich etwas fragwürdig, sind die Ausführungen zu Art. 18 Abs. 2 lit. c der EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EG, den das Gericht zwar für unmittelbar anwendbar, aber nicht einschlägig hält, weil er (gegen seinen Wortlaut) die vorherige Kontaktaufnahme durch Asylbewerber voraussetze; immerhin hat der VGH die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Eilrechtsschutz gegen Abschiebung nach Afghanistan

In einem jetzt bekannten gewordenen Eilbeschluss des OVG Münster vom 11. August 2021 (Az. 13 B 1226/21.A) sah das OVG bereits vor dem Fall von Kabul die Frage als offen an, ob in Bezug auf eine Abschiebung nach Afghanistan die Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorlägen. Es änderte aus diesem Grund einen früheren Eilbeschluss und ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage an.

Richtervorbehalt bei Durchsuchung einer Wohnung zwecks Durchführung einer Abschiebung

Kann eine Behörde bei der Durchführung einer Abschiebung nicht davon ausgehen, dass sich die betroffene Person in einem bestimmten Raum einer Gemeinschaftsunterkunft aufhält, muss sie auch davon ausgehen, dass eine Durchsuchung von Räumen erforderlich ist, so dass im Ergebnis § 85 Abs. 6 AufenthG anwendbar sei, so das Verwaltungsgericht Berlin in einem Anfang Oktober ergangenen Urteil (Az. VG 10 K 383.19); im PKH-Verfahren hatte das OVG Berlin-Brandenburg zuvor bereits im März 2021 ähnlich entschieden. Die praktische Folge dieser Entscheidung ist wegen § 58 Abs. 8 AufenthG, dass eine vorherige richterliche Anordnung erwirkt werden muss.

Kein Rügerecht nach rügeloser Einlassung durch Prozessbevollmächtigten

Ein Kläger in einem asylgerichtlichen Streitverfahren könne die Rüge, das erkennende Gericht sei mangels seines (wirksamen) Einverständnisses mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, jedenfalls dann nicht mehr erheben, wenn er auch in der mündlichen Verhandlung anwaltlich vertreten war und sich rügelos auf die mündliche Verhandlung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin eingelassen habe, so das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 6. September 2021 (Az. 1 B 39.21). Damit sei ein Rügeverlust eingetreten, so das BVerwG, der den Kläger jedenfalls daran hindere, nachträglich einen Verstoß gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 GG) geltend zu machen.

Einwanderungspolitische Gründe bei Entscheidung über Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis

Das Oberverwaltungsgericht Saarlouis meint in seinem Beschluss vom 4. Oktober 2021 (Az. 2 B 208/21), dass es einer Ausländerbehörde grundsätzlich nicht verwehrt sei, im Rahmen ihres Ermessens aus einwanderungspolitischen Gründen den Aufenthalt eines geduldeten Ausländers so auszugestalten, dass eine Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse, die seine spätere Entfernung aus dem Bundesgebiet hindern könnte, vermieden werde, etwa um nach Wegfall des Abschiebungsverbots eine Ausreisepflicht durchsetzen zu können. Die Ausländerbehörde habe ihre Entscheidung über die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis nicht am Resozialisierungsgebot, sondern an aufenthaltsrechtlichen Zielsetzungen und Zwecken auszurichten.

Nichtbeiziehung der Ausländerakte macht Haft nicht immer rechtswidrig

Mit Beschluss vom 31. August 2021 (Az. XIII ZB 87/20) hat der Bundesgerichtshof festgehalten, dass die Nichtbeiziehung der Ausländerakte des Betroffenen durch das Haftgericht die Abschiebungshaft nicht stets rechtswidrig werden lasse. Der Zweck der in § 417 Abs. 2 S. 3 FamFG enthaltenen Verpflichtung zur Vorlage der Ausländerakte könne auch erreicht werden, wenn wie im entschiedenen Fall relevante Aktenstücke vorab übersandt würden und die komplette Ausländerakte bei der gerichtlichen Anhörung vorgelegt werde.

Erforderliche Begründung eines Haftverlängerungsantrags

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 31. August 2021 (Az. XIII ZB 12/20) einen Haftverlängerungsantrag für rechtswidrig gehalten, mit dem die Haft für mehr als sechs Wochen verlängert werden sollte. Werde bei einer beantragten Haftverlängerung für die Organisation einer Abschiebung ein Haftzeitraum von mehr als sechs Wochen beantragt, so der BGH, müsse eine Begründung vorgelegt werden, warum die Durchführung der Abschiebung innerhalb dieses Zeitraums möglich sein soll.