Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hält in seinem Beschluss vom 8. November 2021 (Az. A 4 S 2850/21) fest, dass gesunde und arbeitsfähige Asylantragsteller seiner Ansicht nach derzeit in Italien grundsätzlich weder im Zeitpunkt der Rücküberstellung noch während des Asylverfahrens und auch nicht nach Zuerkennung von internationalem Schutz unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen durch systemische Schwachstellen gemäß Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO oder sonstige Umstände dem realen Risiko einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt seien. Etwas anderes könne im Einzelfall (nur) bei vulnerablen Menschen gelten, weshalb hier weiterhin vor Rücküberstellung in behördlicher Kooperation sichergestellt werden müsse, dass besonderer Versorgungsbedarf in Italien gewährleistet sei. Der Beschluss ist vor allem deshalb lesenswert, weil er sich ausführlich, und möglicherweise etwas despektierlich, mit den Urteilen der „nordrhein-westfälischen Kolleg/inn/en“ (d.h. mit den Urteilen des OVG Münster vom 20. Juli 2021) auseinandersetzt, die sich „vom Bild eines bürgerlichen Lebens“ statt von den vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Maßstäben leiten ließen.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 2. November 2021 (Az. 2 BvR 1851/21) eine Abschiebung nach Italien im Wege einer einstweiligen Anordnung untersagt, bis über die eingelegte Verfassungsbeschwerde entschieden sei. Die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde, so das BVerfG, seien offen, der Beschwerdeführer habe die Möglichkeit einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG substantiiert dargelegt, indem er nachvollziehbar geltend mache, dass die Vorinstanz sein Vorbringen im Berufungszulassungsverfahren, das Verwaltungsgericht habe zu seinen Gunsten unterstellt, dass er seine familiären Bindungen im Bundesgebiet auch tatsächlich lebe, nicht berücksichtigt habe. Die danach erforderliche Folgenabwägung lässt das BVerfG zugunsten des Beschwerdeführers ausgehen, weil ihm durch den Vollzug der Abschiebung und die Trennung der von ihm geltend gemachten Familieneinheit schwere und nicht ohne weiteres wiedergutzumachende Nachteile drohten - ähnlich hatte es bereits im Mai 2015 in einem ähnlich gelagerten Verfahren entschieden. Substantiierter Sachvortrag zu der behaupteten Grundrechtsverletzung ist der Schlüssel, um zu offenen Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde und damit zu einer einstweiligen Anordnung zu gelangen.
Der subsidiäre Schutzstatus von Eltern und Geschwistern eines minderjährigen Flüchtlings hindere nicht die Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz, so das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 25. November 2021 (Az. 1 C 4.21). Mit der Zuerkennung subsidiären Schutzes aus eigenem Recht werde die Wahrung des Familienverbands bereits ermöglicht, aber keine bessere Rechtsstellung als durch den vom Stammberechtigten abgeleiteten Flüchtlingsstatus geschaffen; sei der Flüchtling im Laufe des Verfahrens volljährig geworden, müssten sowohl die Familienangehörigen als auch das Kind ihr Asylgesuch noch vor dessen Volljährigkeit geäußert haben. Die Entscheidung ergeht auf Basis des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 9. November 2021 (Rs. C-91/20), das das Bundesverwaltungsgericht durch ein Vorabentscheidungsersuchen in diesem nun entschiedenen Verfahren selbst initiiert hatte.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in drei Verfahren Nichtzulassungsbeschwerden zurückgewiesen (Beschlüsse vom 1. September 2021 (Az. 1 B 42.21), vom 7. September 2021 (Az. 1 B 37.21) und vom 23. September 2021 (Az. 1 B 56.21)). Inhaltlich ging es um den privaten Bereich der Religionsausübung von Ahmadis in Pakistan (1 B 42.21), das Vorliegen einer über das Asylverfahren hinausgehenden Aufenthaltsberechtigung eines Asylantragstellers vor Erlass einer Rückkehrentscheidung (1 B 37.21) und darum, ob Christen in Ägypten einer Gruppenverfolgungssituation ausgesetzt seien (1 B 56.21). Die Beschwerden wurden verworfen, weil Darlegungsanforderungen nicht erfüllt wurden (1 B 42.21), die gestellte Grundsatzfrage nicht entscheidungserheblich sei (1 B 37.21) und die Grundsatzfrage lediglich eine Tatsachenfrage sei (1 B 56.21).
Wenn der Ausländer im Laufe eines aufenthaltsrechtlichen Verfahrens wieder mitwirke und z.B. aktuelle und authentische Dokumente zu seiner Identität vorlege, lägen die Voraussetzungen für eine Versagungsentscheidung nach § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht mehr vor, so das Oberverwaltungsgericht Magdeburg in seinem Beschluss vom 9. November 2021 (Az. 2 M 79/21), und könne die Verhinderung einer faktischen Integration des (geduldeten) Ausländers danach allenfalls dann noch eine zulässige Ermessenserwägung darstellen, wenn nach ausreichend verlässlichen Tatsachenfeststellungen eine tatsächliche Abschiebung des Ausländers in absehbarer Zeit möglich erscheine. In seinem ähnlich gelagerten Beschluss vom 12. November 2021 (Az. 2 M 132/21) führt das OVG weiter aus, dass es einem Ausländer, der bereits im Besitz einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG sei oder einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach dieser Vorschrift habe, nicht verwehrt sei, lediglich die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis für die beabsichtigte Berufsausbildung zu beantragen, etwa weil fraglich sei, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c AufenthG vorlägen, und der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis nur solche Gründe entgegengehalten werden könnten, die derzeit den Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen hinderten, während Gründe, die den Vollzug ausschließlich in der Vergangenheit verzögert oder behindert hätten, im Rahmen des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG unbeachtlich seien. Etwas deutlicher wird das Gericht in seinem in beiden Entscheidungen identischen Orientierungssatz: „Soweit teilweise die Auffassung vertreten wird, die Ausländerbehörde könne grundsätzlich im Rahmen ihres Ermessens aus einwanderungspolitischen Gründen den Aufenthalt eines geduldeten Ausländers so ausgestalten, dass eine seine spätere Entfernung aus dem Bundesgebiet u.U. hindernde Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse vermieden wird, um nach Wegfall des Abschiebungsverbots eine Ausreisepflicht durchsetzen zu können (so VGH BW, Beschluss vom 8. Januar 2021 - 12 S 3651/20 -), vermag der Senat dem nicht zu folgen“.
Grundsätzlich müsse das Beschwerdegericht einen von Abschiebungshaft Betroffenen zwar gemäß § 68 Abs. 3 FamFG erneut anhören, jedoch dann nicht, so der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 12. Oktober 2021 (Az. XIII ZB 110/19), wenn es die bereits angeordnete Haft zur Sicherung einer Dublin-Überstellung lediglich auf einen anderen Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Fluchtgefahr stützen wolle als das Amtsgericht. Es handele sich bei Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung um einen einheitlichen Haftgrund, so dass eine erneute Anhörung nur dann erforderlich sei, wenn das Beschwerdegericht einen neuen Sachverhalt in das Verfahren einführe, zu dem sich der Betroffene noch nicht persönlich äußern konnte. Die Entscheidung mag von beschränkter praktischer Bedeutung sein, weil neue Anhaltspunkte für Fluchtgefahr häufig auf neuen Sachverhalten beruhen werden, das entschiedene Verfahren zeigt aber, dass das nicht stets der Fall sein muss.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Woche insgesamt 15 Entscheidungen in asylrechtlichen Verfahren veröffentlicht. Neben den bereits oben angesprochenen vier Entscheidungen hat das BVerwG in zwei weiteren Verfahren zur Nichtverlängerung der Dublin-Überstellungsfrist wegen bloßer Nichtbefolgung einer Selbstgestellungsaufforderung Entscheidungsvolltexte veröffentlicht (Urteile vom 17. August 2021, Az. 1 C 51.20 und 1 C 55.20) und in acht Verfahren (Beschlüsse vom 1. November 2021, Az. 1 B 47.21, 1 B 51.21 und 1 B 57.21 sowie Beschlüsse vom 2. November 2021, Az. 1 B 44.21, 1 B 45.21, 1 B 46.21, 1 B 52.21 und 1 B 54.21) die Revision zur Klärung der Frage zugelassen, welche Anforderungen an die Annahme einer „starken Vermutung“ für eine Verknüpfung zwischen der Verweigerung des Militärdienstes mit einem der in Art. 10 der Qualifikations-Richtlinie 2011/95/EU genannten Verfolgungsgründe, sowie deren Widerlegung, zu stellen sind. In einem Verfahren (Beschluss vom 7. Juli 2021, Az. 1 C 15.21) hatte das BVerwG nur noch eine Kostenentscheidung zu treffen, nachdem sich die Parteien nach der aufgrund dieses Verfahrens ergangenen EuGH-Entscheidung (Urteil vom 3. Juni 2021, Rs. C-546/19) außergerichtlich geeinigt hatten.