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Ausgabe 30 • 28.1.2022

Fristwahrende Anzeige

Ein Antrag ist eigentlich nur eine fristwahrende Anzeige, eine weitere Verfassungsbeschwerde gegen die Durchführung des Visumsverfahrens im Ausland ist erfolgreich und eine Klage in einem Zweitantragsfall erhält aufschiebende Wirkung. Außerdem geht es in dieser Woche um das Vorgehen gegen mehrere selbstständig tragende Begründungen, die Anforderungen an Protokolle mündlicher Verhandlungen, die Aufenthaltserlaubnis als feststellenden Verwaltungsakt, die Auslegung einer Verpflichtungserklärung, eine Abschiebung nach 23 Jahren sowie um asylgerichtliche Statistiken.

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Visumsverfahren im Ausland

Mit Beschluss vom 22. Dezember 2021 (Az. 2 BvR 1432/21) hat das Bundesverfassungsgericht erneut einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, in der es darum ging, unter welchen Voraussetzungen es dem Beschwerdeführer zuzumuten sei, zur Durchführung eines Visumverfahrens in seinem Heimatland die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und damit eine wenigstens vorübergehende Trennung von seinen hier aufenthaltsberechtigten Kindern hinzunehmen. Das BVerfG hielt die Verfassungsbeschwerde für offensichtlich begründet, weil die fachgerichtlichen Entscheidungen nicht hinreichend begründet hätten, warum die Verweisung des Beschwerdeführers auf die Nachholung des Visumverfahrens vom Ausland aus eine lediglich vorübergehende und keine dauerhafte Trennung für den Beschwerdeführer und seine Kinder zur Folge habe; eine solche Begründung, so das BVerfG, wäre aber von Verfassungs wegen geboten gewesen. Bereits mit Beschluss vom 9. Dezember 2021 (Az. 2 BvR 1333/21) hatte das BVerfG in einem vergleichbaren Verfahren einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben.

Aufschiebende Wirkung der Klage in Zweitantragsverfahren

Das Oberverwaltungsgericht Münster hat mit Beschluss vom 9. Dezember 2021 (Az. 17 B 1728/21.A) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ablehnung eines Asylantrags in einem Zweitantragsverfahren nach § 71a AsylG angeordnet. Die als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, ob § 71a AsylG mit Art. 33 Abs. 2 lit. d der EU-Asylverfahrensrichtlinie vereinbar sei, könne jedenfalls nicht weiter als „acte clair“ bejaht werden, unter anderem, weil vor dem Europäischen Gerichtshof derzeit das Vorabentscheidungsverfahren C-497/21 zu dieser Frage anhängig sei; insofern sei das Interesse des Antragstellers an der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bis zu einer abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren als höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids der Antragsgegnerin. Das beim EuGH anhängige Vorabentscheidungsverfahren geht auf auf das Verwaltungsgericht Schleswig zurück (Beschluss vom 16. August 2021 (Az. 9 A 178/21)).

Zeitlicher Zusammenhang zwischen fristwahrender Anzeige und Visumsantrag beim Familiennachzug

Mit Beschlüssen vom 18. (Az. 3 M 22/21) und vom 19. (Az. 3 M 185/20) Januar 2022 hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschieden, dass sich unmittelbar aus dem Sinn und Zweck des privilegierten Nachzugs zu Flüchtlingen und im Hinblick auf den systematischen Zusammenhang des § 29 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ergebe, dass zwischen einer „fristwahrenden Anzeige“ eines beabsichtigten Familiennachzugs und dem bei der Auslandsvertretung zu stellenden Antrag auf Visumerteilung regelmäßig ein von den Umständen des Einzelfalles abhängiger zeitlicher Zusammenhang bestehen müsse. Bei dem in § 29 Abs. 2 Satz 3 AufenthG genannten „Antrag“ des bereits im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen handele es sich nicht um einen förmlichen Visumantrag, sondern lediglich um eine fristwahrende Anzeige, die die in den Verfahrensvorschriften des Aufenthaltsgesetzes geregelte Zuständigkeit für die Antragstellung im Ausland (§ 71 Abs. 2 AufenthG) und das Erfordernis einer persönlichen Vorsprache durch den Nachzugswilligen nicht berühre. In den entschiedenen Verfahren hielt das OVG den zeitlichen Zusammenhang angesichts eines Zeitraums von drei bzw. vier Jahren zwischen fristwahrender Anzeige und Visumsantrag für nicht mehr gegeben.

Vorgehen gegen mehrere selbstständig tragende Begründungen

Sei eine asylgerichtliche Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Begründungen gestützt, könne das Rechtsmittelgericht ein zulassungsbedürftiges Rechtsmittel nur zulassen, wenn der Rechtsmittelführer gegen jede der tragenden Begründungen mindestens einen Zulassungsgrund darlege und dieser Grund auch vorliege, so das Oberverwaltungsgericht Münster in seinem Beschluss vom 17. Januar 2022 (Az. 19 A 1784/21.A). Das ist inhaltlich nichts Neues, das OVG sah sich aber offensichtlich zur Formulierung eines entsprechenden Leitsatzes veranlasst.

Anforderungen an das Protokoll einer mündlichen Verhandlung

Die Angabe, dass ein Verwaltungsgericht einen Beweisantrag durch begründeten Beschluss abgelehnt hat, gehöre zu den wesentlichen Vorgängen einer asylgerichtlichen mündlichen Verhandlung und sei daher nach § 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 3 ZPO in das Protokoll der Verhandlung aufzunehmen, für den Inhalt der Begründung gelte dies jedoch nicht, so das Oberverwaltungsgericht Münster in seinem Beschluss vom 17. Januar 2022 (Az. 19 A 1736/21.A). Nehme das Tatsachengericht die Begründung für die Ablehnung eines förmlichen Beweisantrags nicht in das Protokoll auf, müsse es die Gründe aber in den Entscheidungsgründen des Urteils in nachvollziehbarer Weise aktenkundig machen, um höheren Instanzen die Verfahrenskontrolle hinsichtlich der Ablehnung des Beweisantrags zu ermöglichen.

Aufenthaltserlaubnis als feststellender Verwaltungsakt

Die behördliche Feststellung, ein Aufenthaltsrecht nach dem Assoziationsrecht sei in der Vergangenheit erloschen, stelle keine Antragsablehnung i S v. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG dar, eine dagegen erhobene Klage habe daher aufschiebende Wirkung, so das Oberverwaltungsgericht Münster in seinem Beschluss vom 18. Januar 2022 (Az. 18 B 815/20). Die Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG a.F. (§ 4 Abs. 2 AufenthG n.F.) sei insoweit ein feststellender Verwaltungsakt, als sie verbindlich das Bestehen einer Rechtsstellung nach dem ARB 1/80 feststelle und das Innehaben dieser Rechtsstellung nach außen dokumentiere. Dementsprechend dürfte, so das OVG, spiegelbildlich die Ablehnung eines Antrags auf Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG a.F. (§ 4 Abs. 2 AufenthG n.F.) verbindlich das Nichtbestehen einer entsprechenden Rechtsstellung nach dem ARB 1/80 feststellen und nach außen dokumentieren und deshalb ebenfalls als feststellender Verwaltungsakt zu qualifizieren sein.

Auslegung einer Verpflichtungserklärung

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat mit Beschluss vom 11. Januar 2022 (Az. 11 S 1024/20) die Berufung gegen eine erstinstanzliche Entscheidung in einem Verfahren zugelassen, in dem es um die Auslegung einer ausländerrechtlichen Verpflichtungserklärung geht. In Frage steht insbesondere, wie eine formularmäßige Formulierung zu verstehen ist, die eine Verpflichtung zur Kostenübernahme bis zur „Beendigung des Aufenthalts“ vorsieht, wenn der betroffene Ausländer zwar zunächst aus Deutschland ausgereist, aber im Schengenraum verblieben und später kurzzeitig wieder nach Deutschland eingereist ist. In dem Verfahren wird der Sache nach eine AGB-Kontrolle im Aufenthaltsrecht stattfinden, der VGH hat in seinem Beschluss bereits angemerkt, dass Unklarheiten in dem von der Ausländerbehörde vorgegebenen Formular zu Lasten des Verwenders, d.h. der Behörde, gehen müssten.

Abschiebung nach 23 Jahren soll rechtmäßig sein

In einer Pressemitteilung vom 24. Januar 2022 berichtet das Verwaltungsgericht Schleswig von seinen Entscheidungen in drei Verfahren (Az. 1 B 10001/21, 1 B 10002/21 und 1 B 10003/21), in denen es die Eilanträge einer ursprünglich aus Armenien stammenden und seit 1998 in Deutschland lebenden Familie gegen die Rücknahme ihrer Niederlassungserlaubnisse und die Androhung ihrer Abschiebung überwiegend abgelehnt hat. Die Eltern hätten ihren Aufenthalt in Deutschland durch arglistige Täuschung erlangt; würde ein solches Verhalten ohne Konsequenzen bleiben, schaffe man Anreize zur Rechtsverletzung, diskriminiere rechtstreues Verhalten und untergrabe damit die Wirksamkeit der Rechtsordnung, so das Gericht. Über den Antrag der Tochter auf Erteilung einer Duldung während des Verfahrens über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat das Gericht positiv entschieden.

Asylgerichtliche Statistik

Die Antwort der Bundesregierung vom 14. Januar 2022 (BT-Drs. 20/432) auf eine Kleine Anfrage zur Asylstatistik 2021 enthält zahlreiche statistische Aussagen zum Stand asylgerichtlicher Verfahren im Zeitraum von Januar bis September 2021. Danach waren am 30. September 2021 insgesamt 156.062 verwaltungsgerichtliche Verfahren gegen Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge anhängig, darunter 51 Verfahren am Bundesverwaltungsgericht und 12.647 Verfahren allein am Verwaltungsgericht Berlin. Am Thüringer Oberverwaltungsgericht war immerhin ein Verfahren anhängig.