Berücksichtigen nationale Asylbehörden Herkunftsländerinformationen nicht oder nicht umfassend genug, könne eine Rückführung der Betroffenen nach erfolglosem Abschluss ihrer Asylverfahren eine Verletzung von Art. 3 EMRK konstituieren, wenn die unterlassene Sachaufklärung nicht vorher nachgeholt werde, so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 22. März 2022 (Az. 55978/20, T.K. u.a. gg. Litauen). In dem entschiedenen Verfahren hatten litauische Behörden und Gerichte das Vorbringen der Beschwerdeführer, in Tadschikistan wegen ihrer Mitgliedschaft in einer verbotenen politischen Partei menschenrechtswidrig behandelt zu werden, aus Sicht des EGMR nicht ausreichend aufgeklärt. In einem Sondervotum hielten zwei Richter ihre abweichende Auffassung fest und argumentierten, dass aus Art. 3 EMRK keine überspannten Anforderungen an die Berücksichtigung von Herkunftsländerinformationen abgeleitet werden dürften.
Mit Beschluss vom 18. März 2022 (Az. 6 L 156/22.A) hat das Verwaltungsgericht Aachen festgehalten, dass derzeit keine (Wieder-)Aufnahmebereitschaft der Republik Polen für Dublin-Rückkehrer bestehe und daher die Feststellung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG, dass die Abschiebung durchgeführt werden könne, mit Blick auf die Republik Polen derzeit nicht getroffen werden könne. Das VG Aachen zitiert ein Rundschreiben Polens an alle Dublin-Staaten vom 25. Februar 2022, in dem die Aussetzung aller Dublin-Überstellungen ab dem 28. Februar 2022 angekündigt wurde.
Das Verwaltungsgericht Braunschweig ist in seinem ausführlich begründeten Beschluss vom 8. März 2022 (Az. 2 B 47/22) der Ansicht, dass erhebliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass slowenische Behörden durch zwangsweise Rückschiebungen von Geflüchteten nach Kroatien das Recht auf Asylantragstellung gezielt vereiteln und damit gegen das Non-Refoulement-Gebot verstoßen. Aufgrund der Beteiligung Sloweniens an Kettenabschiebungen aus anderen EU-Ländern könne nicht ausgeschlossen werden, so das VG, dass auch Dublin-Rückkehrer aus Deutschland Opfer von Push-Backs werden.
Der Beschwerdeausschluss gemäß § 80 AsylG umfasse in Verfahren des vorläufigen asylgerichtlichen Rechtsschutzes auch die Geltendmachung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG, weil für die Entscheidung das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig sei, so das Oberverwaltungsgericht Saarlouis in seinem Beschluss vom 16. März 2022 (Az. 2 B 44/22). Etwas anderes könne, wenn überhaupt, erst nach Abschluss des Asylverfahrens gelten.
In seinem Beschluss vom 4. März 2022 (Az. 2 S 362/22) hält der Verwaltungsgerichtshof Mannheim fest, dass bei der Geltendmachung der Verletzung rechtlichen Gehörs durch Übergehen von Beteiligtenvorbringen dem Darlegungserfordernis nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nur genügt werde, wenn der nicht gewürdigte Vortrag substantiiert angegeben werde und dabei exakt vorgetragen werde oder ohne Weiteres erkennbar sei, welche Schriftsätze, Protokolle oder sonstigen Unterlagen (mit Datum und Seitenangaben) den übergangenen Vortrag enthalten.
Eine Ausländerbehörde sei in Anwendung des § 24 VwVfG i. V. m. § 1 NVwVfG verpflichtet, den Ausländer amtsärztlich zu untersuchen und erforderliche (fach-)ärztliche Stellungnahmen oder Gutachten einzuholen, wenn und soweit sich aus ärztlichen oder psychologischen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder aus sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit, etwa aufgrund von Suizidgefahr, ergäben, so das Verwaltungsgericht Göttingen in seinem Beschluss vom 8. März 2022 (Az. 1 B 274/21), wobei in einem solchen Fall außerdem eine amtsärztliche Auswertung der vorliegenden ärztlichen oder psychologischen Äußerungen nicht genüge. Über diese Entscheidung und das zugrundeliegende Verfahren berichtet die Ärztezeitung.
Trotz Nachweises der in § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 5 AufenthG genannten Integrationsleistungen könne die daran anknüpfende Regelvermutung der nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland nach § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG bereits auf Tatbestandsebene durch zurückliegende Täuschungen des Ausländers über seine Identität oder Staatsangehörigkeit widerlegt werden, die mangels Aktualität zwar nicht von dem von dem Versagungstatbestand des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erfasst würden, die aber nach ihrer Art oder Dauer so bedeutsam seien, dass sie das Gewicht der nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 5 AufenthG relevanten Integrationsleistungen für die Annahme einer nachhaltigen Integration beseitigten, so das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem Beschluss vom 17. März 2022 (Az. 13 ME 91/22).
Das Oberverwaltungsgericht Bremen hat in seinem Beschluss vom 18. März 2022 (Az. 2 B 506/21) festgehalten, dass in einem anderen Bundesland bestehende familiäre oder sonstige zwingende Gründe ein Hindernis für die Vollstreckung einer aufenthaltsrechtlichen Verteilungsentscheidung darstellen können, was in einem solchen Fall zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer gegen die Zwangsmittelandrohung erhobenen Klage führe. Die anderslautende Rechtsprechung, wonach in einem anderen Bundesland bestehende familiäre oder sonstige zwingenden Gründe nicht bei der Verteilungsentscheidung berücksichtigt werden könnten, sei nicht auf die Zwangsmittelandrohung übertragbar.
In drei weiteren Verfahren, in denen es um die Frage der Zulässigkeit von Dublin-Abschiebungen nach Italien ging, hat das Bundesverwaltungsgericht die Nichtzulassungsbeschwerden des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gegen Urteile des OVG Münster mit Beschlüssen vom 27. Januar 2022 (Az. 1 B 86.21, 1 B 99.21 und 1 B 6.22) zurückgewiesen. Das BVerwG hat außerdem in einem Beschluss vom 19. Januar 2022 (Az. 1 B 83.21), in dem es ebenfalls um die Frage der Zulässigkeit von Dublin-Abschiebungen nach Italien und eine Nichtzulassungsbeschwerde des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ging, zu den Darlegungsanforderungen einer Divergenzrüge ausgeführt, dass „verdeckte“ Rechtssätze in der Beschwerde so deutlich aus dem gedanklichen Zusammenhang der divergierenden Entscheidung herausgearbeitet werden müssten, dass unzweifelhaft feststehe, welcher Rechtssatz aufgestellt bzw. zugrunde gelegt wurde. Mit Beschluss vom 4. Januar 2022 (Az. 1 B 94.21) hat das BVerwG eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gegen eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Greifswald vom 28. September 2021 (Az. 4 LB 903/17) zurückgewiesen, in dem es um die Frage einer Verfolgung von Wehrdienstentziehern in Syrien ging.
Die Europäische Asylagentur (EUAA) hat Ausgabe 01/2022 ihres vierteljährlichen, thematisch gegliederten Updates zur Asylrechtsprechung in der Europäischen Union veröffentlicht, das den Zeitraum Dezember 2021 bis Februar 2022 abdeckt.