Mit Beschluss vom 30. März 2022 (Az. 2 BvR 2069/21) hat das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm stattgegeben, das eine Auslieferung des zuvor in Italien als Flüchtling anerkannten Beschwerdeführers in die Türkei für zulässig erklärt hatte. Der Beschwerdeführer hatte unter anderem vorgetragen, dass er in der Europäischen Union als Flüchtling anerkannt sei und darauf vertrauen dürfe, dass ihn Italien und die Bundesrepublik Deutschland vor „unsauberen Verfahrensweisen“ in der Türkei schützen.
Das OLG hätte, so das BVerfG, nicht ohne ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof entscheiden dürfen, weil die Frage, ob die bestandskräftige Anerkennung des Beschwerdeführers als Flüchtling durch die italienischen Behörden für das Auslieferungsverfahren in Deutschland aufgrund der unionsrechtlichen Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts verbindlich sei und damit einer Auslieferung in die Türkei zwingend entgegenstünde, im entschiedenen Verfahren entscheidungserheblich sei. Diese Frage sei im Schrifttum umstritten und in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bislang noch nicht geklärt.
Vor diesem Hintergrund hätte das Oberlandesgericht nicht von einer richtigen Anwendung des Unionsrechts ausgehen können, die derart offenkundig sei, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bliebe, sondern hätte sich vielmehr mit den unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten auseinandersetzen und das Absehen von einer Vorlage an den Gerichtshof näher begründen müssen. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei, wie hier, verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschreite.
Das Gericht der Europäischen Union hat mit Beschluss vom 7. April 2022 (Rs. T-282/21) eine Klage gegen die EU-Agentur Frontex als unzulässig abgewiesen. In ihrer im Mai 2021 eingereichten Klage hatten zwei Schutzsuchende vorgetragen, dass sie mehrfach von griechischen Push-Backs in der Ägäis betroffen gewesen seien und dass Frontex deswegen gemäß Art. 46 Abs. 4 der EGKW-Verordnung (Verordnung (EU) 2019/1896 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2019 über die europäische Grenz- und Küstenwache) verpflichtet gewesen sei, seine Aktivitäten in der Ägäis einzustellen, dies aber rechtswidrig unterlassen habe. Die EGKW-Verordnung sieht in ihrem Art. 46 Abs. 4 in der Tat vor, dass Frontex seine Tätigkeit einstellt, wenn der Frontex-Exekutivdirektor der Auffassung ist, dass im Zusammenhang mit der Tätigkeit schwerwiegende oder voraussichtlich weiter anhaltende Verstöße gegen Grundrechte und Verpflichtungen des internationalen Schutzes vorliegen.
Diese Kriterien spielten in der Entscheidung des EU-Gerichts jedoch gar keine Rolle, weil es die Klage bereits aus prozessrechtlichen Gründen als unzulässig betrachtete. Die Kläger hatten eine Untätigkeitsklage gemäß Art. 265 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) erhoben, in dem gemäß Art. 265 Abs. 2 AEUV obligatorischen Vorverfahren hatte sich der Frontex-Exekutivdirektor jedoch aus Sicht des EU-Gerichts in seiner Stellungnahme ausreichend zu den erhobenen Vorwürfen geäußert (und sie zurückgewiesen), so dass statt der Untätigkeitsklage gemäß Art. 265 AEUV eine Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV hätte erhoben werden müssen, was die Kläger jedoch nicht getan hätten. Dem Argument der Kläger, dass die Stellungnahme des Frontex-Exekutivdirektors zu unbestimmt sei und damit gar keine „Stellungnahme“ im Sinne von Art. 265 Abs. 2 AEUV darstelle, schloss sich das EU-Gericht nicht an.
Die Kläger wollten Frontex wohl nicht zuletzt zu einer solchen inhaltlichen Auseinandersetzung mit ihren Vorwürfen zwingen, wie dies auch aus ihrem im Januar 2022 eingereichten Schriftsatz deutlich wird. Dieser Versuch ist zunächst gescheitert, aber immerhin haben die Kläger erreicht, dass Frontex die Kosten seiner Verteidigung selbst tragen muss. Eine weitere, im März 2022 eingebrachte Klage gegen Frontex ist außerdem bereits auf dem Weg.
Mit Urteil vom 5. Mai 2022 (Rs. C-451/19 und C-532/19) hat der Europäische Gerichtshof in Anwendung von Art. 20 AEUV (Unionsbürgerschaft) und in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass ein Abhängigkeitsverhältnis, das es rechtfertigen kann, dem drittstaatsangehörigen Elternteil eines minderjährigen Unionsbürgers ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zuzuerkennen, vermutet wird, wenn der drittstaatsangehörige Elternteil mit dem anderen Elternteil, der Unionsbürger ist, dauerhaft zusammenlebt, und dass dieses Abhängigkeitsverhältnis besteht, wenn ein minderjähriger Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, um seinem drittstaatsangehörigen Elternteil zu folgen, der selbst gezwungen wäre, das Gebiet zu verlassen, nachdem seinem anderen minderjährigen Kind, einem Drittstaatsangehörigen, ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht verweigert wurde. Der EuGH hat zu diesem Urteil auch eine Pressemitteilung veröffentlicht.
Aus Sicht des Verwaltungsgerichts Braunschweig (Beschluss vom 25. Februar 2022, Az. 2 B 27/22) bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass kroatische Behörden durch zwangsweise Rückschiebungen v. a. nach Bosnien-Herzegowina das Recht auf Asylantragstellung gezielt vereiteln und damit gegen das Non-Refoulement-Gebot verstoßen. Kroatische Polizeibeamte übten bei der Durchführung von Push-Backs regelmäßig körperliche und psychische Gewalt gegen Geflüchtete aus, aufgrund der Beteiligung Kroatiens an Kettenabschiebungen aus anderen EU-Ländern könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch Dublin-Rückkehrer aus Deutschland Opfer von Push-Backs werden. Das VG hat dem Eilantrag der Kläger auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage dementsprechend stattgegeben.
In zwei Beschlüssen (Az. 4 MB 5/22 und 4 MB 6/22) hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig am 4. Mai 2022 laut einer Pressemitteilung des Gerichts entschieden, dass auch nach einer Täuschung der Behörden das private Bleiberechtsinteresse eines Ausländers gebieten könne, eine Niederlassungserlaubnis nur mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Bei einer solchen Lösung bliebe der Voraufenthalt des Ausländers rechtmäßig und komme eine befristete Aufenthaltserlaubnis wegen nachhaltiger Integration in Betracht. Die in den beiden Verfahren Betroffenen leben seit 1998 in Deutschland, das OVG hat ihre Abschiebung vorerst gestoppt und die Verfahren an die Ausländerbehörde zurückverwiesen.
Das Verwaltungsgericht Dresden hat einem Bericht zufolge mit Urteil vom 7. April 2022 Wohnungsdurchsuchungen bei Abschiebungsversuchen in Dresden für rechtswidrig erklärt. Die Polizei hatte sich anscheinend auf das Betretensrecht aus § 58 Abs. 5 AufenthG berufen, aber auch von vornherein vorgehabt, aktiv nach der abzuschiebenden Person zu suchen. Dies, so das VG, sei nach der maßgeblichen ex-ante-Sicht als Durchsuchung einzustufen, deren Voraussetzungen jedoch nicht vorgelegen hätten.
Informiert ein Haftgericht in einer Transitaufenthaltssache (§ 15 Abs. 6, 5 AufenthG) den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen lediglich zwei Stunden vor dem Anhörungstermin über den bevorstehenden Termin und ist bis zum Termin keinerlei Rückmeldung des Bevollmächtigten eingegangen, darf das Gericht den Termin nicht ohne den Bevollmächtigten durchführen und wird die in ihm angeordnete Haft rechtswidrig, weil darin eine Vereitelung der Teilnahme des Bevollmächtigten zu sehen ist, so der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 22. März 2022 (Az. XIII ZB 11/20). Der BGH modifiziert mit diesem Beschluss seine bisherige Rechtsprechung zu den Erfordernissen der Beteiligung von Verfahrensbevollmächtigten in Transitaufenthaltssachen (s. etwa Beschluss vom 31. Januar 2012, Az. V ZB 117/11).
Erfolgt ein Hinweis auf Ermittlungsverfahren gegen einen Betroffenen erst im Beschwerdeverfahren, und erst, nachdem der Betroffene rücküberstellt oder sonst abgeschoben wurde, so braucht das Beschwerdegericht einem solchen Hinweis nicht weiter nachzugehen, so der BGH in seinem Beschluss vom 22. März 2022 (Az. XIII ZB 17/20).