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Ausgabe 75 • 9.12.2022

Offensichtlicher Missbrauch

Der aufenthaltsrechtliche Gesetzgeber denkt sich in einem wiederkehrenden Muster böse klingende Begriffe aus, die Gerichte können dann sehen, wie sie so etwas auslegen, und diesmal ging es dabei vor dem Oberverwaltungsgericht Schleswig um „offensichtlichen Missbrauch“. Außerdem geht es in dieser Woche um eine erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die ausländerrechtliche Meldepflicht, um Beschränkungen des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten, mal wieder systemische Mängel im italienischen Asylverfahren, einen Berichtigungsanspruch bei fehlender Zustellung eines Asylbescheids, die Anforderungen an den Nachweis der Stellung eines Asylgesuchs und um die Anforderungen an Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet.

Verfassungsbeschwerde gegen ausländerrechtliche Meldepflicht erfolglos

Eine von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) im September 2022 eingereichte Verfassungsbeschwerde gegen die Meldepflicht öffentlicher Stellen gemäß § 87 AufenthG, etwa bei der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen, ist vom Bundesverfassungsgericht anscheinend ohne Begründung zurückgewiesen worden. Offenbar handelte es sich um eine Verfassungsbeschwerde gegen ablehnende gerichtliche Eilbeschlüsse; ein Hauptsacheverfahren ist noch vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt anhängig.

Beschränkter Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten rechtmäßig

Das Bundesverwaltungsgericht berichtet in einer Pressemitteilung vom 8. Dezember 2022 über seine Urteile vom selben Tag in den Verfahren 1 C 56.20, 1 C 59.20, 1 C 8.21 und 1 C 31.21, in denen es die bestehenden Einschränkungen für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten für rechtmäßig hält. In den Verfahren ging es maßgeblich um die Frage, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigkeit von Kindern abzustellen ist, die im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland kommen wollen bzw. die die in Deutschland Stammberechtigten sind. Hier auf den späten Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung abzustellen, hielt das BVerwG für richtig, weil die vom Europäischen Gerichtshof entwickelten abweichenden Grundsätze nur für anerkannte Flüchtlinge Geltung hätten und nicht auf subsidiär Schutzberechtigte übertragbar seien. Außerdem seien sowohl die zeitweilige Nichtgewährung des Familiennachzugs als auch die derzeitige Rechtsgrundlage für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten (§ 36a AufenthG) verfassungsgemäß, solange die Möglichkeit einer Einzelfallprüfung im Rahmen des § 22 S. 1 AufenthG eröffnet bleibe. Die Volltexte der Urteile sind noch nicht verfügbar.

Systemische Mängel im italienischen Asylsystem wegen drohender Obdachlosigkeit

Geflüchteten droht infolge ihrer Rückführung nach Italien eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung in Form von Obdachlosigkeit sowohl im Zeitraum bis zur förmlichen Registrierung ihres Asylantrags als auch nach Zuerkennung eines Schutzstatus und dem Ausscheiden aus dem staatlichen Aufnahmesystem, sagt das Verwaltungsgericht Braunschweig in seinem ausführlich begründeten Beschluss vom 1. Dezember 2022 (Az. 2 B 278/22).

Berichtigungsanspruch bei fehlender Zustellung eines Bescheids

Wurde ein Bescheid über die Ablehnung eines Asylantrags nicht wirksam zugestellt und hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der zuständigen Ausländerbehörde dennoch gemäß § 40 Abs. 1 AsylG mitgeteilt, dass eine vollziehbare Abschiebungsandrohung existiere, hat der Betroffene einen Anspruch gegen das BAMF auf Berichtigung dieser Mitteilung gegenüber der Ausländerbehörde, meint das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem Beschluss vom 30. November 2022 (Az. 7 L 2257/22.A). Der Berichtigungsanspruch könne im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO durchgesetzt werden.

Anforderungen an Nachweis der Stellung eines Asylgesuchs

Der Verwaltungsgerichtshof München hatte sich in seinem Beschluss vom 25. November 2022 (Az. 10 CE 22.2271 , 10 C 22.2272) mit einem Antrag auf Rückholung eines an der deutschen Grenze zurückgeschobenen Ausländers zu befassen, der geltend gemacht hatte, vor seiner Zurückschiebung ein Asylgesuch geäußert zu haben, das aber ignoriert worden sei. Der VGH stellte maßgeblich auf die Behördenakte ab, aus denen sich kein Asylgesuch ergebe. Dass die Behördenakte nicht authentisch beziehungsweise mit Bestandteilen aus anderen Behördenakten vermischt worden sein solle, hielt der VGH für nicht erwiesen, vorgelegte eidesstattliche Versicherungen hielt er für ebenfalls nicht überzeugend. Anhaltspunkte dafür, dass die beteiligten Beamten und sonstigen Bediensteten der Antragsgegnerin die Behördenakte unter massivem Verstoß gegen Dienstpflichten wissentlich mit falschem Inhalt erstellt hätten, seien nicht ersichtlich, zumal die Antragsgegnerin eine andere Person, die zusammen mit dem Antragsteller an der Grenze aufgegriffen wurde, in das Bundesgebiet zurückgeholt habe.

Anforderungen an Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet

Das Verwaltungsgericht Köln zerpflückt in seinem Beschluss vom 28. November 2022 (Az. 22 L 1842/22.A) einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, in dem ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Der Bescheid würdige den Vortrag des Betroffenen nur teilweise und leite das Offensichtlichkeitsurteil aus Umständen ab, die regelmäßig nur eine einfach unbegründete Ablehnung eines Asylantrags rechtfertigen, etwa aus der angenommenen fehlenden Glaubhaftigkeit des Vortrags des Antragstellers und aus dem angenommenen fehlenden Kausalzusammenhang zwischen vorgetragener Verfolgung und der Ausreise des Betroffenen.

Offensichtlicher Missbrauch bei Ausbildungsduldung muss bewiesen werden

In seinem Beschluss vom 16. November 2022 (Az. 4 MB 38/22) beschäftigt sich das Oberverwaltungsgericht Schleswig mit der Frage, welche Anforderungen bei der Beantragung einer Ausbildungsduldung an das Vorliegen und den Nachweis eines „offensichtlichen Missbrauchs“ im Sinne von § 60c Abs. 1 S. 2 AufenthG zu stellen sind. Missbräuchlich sei die Beantragung einer Ausbildungsduldung dann, wenn sich der Betroffene entweder auf unlautere Weise Zugang zum Anwendungsbereich der Ausbildungsduldung verschaffe oder er die Ausbildungsduldung als solche zur Erschleichung eines Bleiberechts zweckentfremden wolle, was bei wiederholten Abbrüchen von Berufsausbildungen denkbar sei. Offensichtlich sei der Missbrauch dann, wenn der zugrundeliegende Sachverhalt offensichtlich vorliege, wobei die Ausländerbehörde die den Missbrauch begründenden Umstände zu ermitteln, im gerichtlichen Verfahren substantiiert darzulegen und nötigenfalls zu beweisen habe. Der Beschluss ist gut begründet und lesenswert, auch weil er zusätzlich Ausführungen zur Umdeutung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO in einen Antrag nach § 123 VwGO in einer Situation enthält, in der der Antragsteller anwaltlich vertreten ist.

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