In seinem Urteil vom 19. Januar 2023 (Az. 1 C 1.22) hat das Bundesverwaltungsgericht offenbar die prozessualen Anforderungen geklärt, die an die Annahme einer „starken Vermutung“ für die Verknüpfung einer Verweigerung von Militärdienst mit einem Verfolgungsgrund zu stellen sein sollen. Das Urteil, zu dem derzeit lediglich eine Pressemitteilung des Gerichts vorliegt, geht davon aus, dass es für die Annahme einer solchen starken Vermutung nicht ausreicht, wenn die Voraussetzungen des Flüchtlingsschutzes auf einer „diffusen Tatsachengrundlage“ und unter Unterschreitung des Regelbeweismaßes der vollen richterlichen Überzeugungsgewissheit bejaht werden. Vor diesem Hintergrund hat das BVerwG 26 Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg aufgehoben und die Verfahren zurückverwiesen.
Das Oberverwaltungsgericht Greifswald meint in seinem Urteil vom 7. Dezember 2022 (Az. 4 LB 233/18 OVG), dass Palästinenser in Libyen keiner Gruppenverfolgung unterliegen und dass in dem entschiedenen Verfahren auch kein subsidiärer Schutz in Betracht komme. Ein Ausschluss staatenloser Palästinenser vom Flüchtlingsschutz gemäß § 3 Abs. 3 AsylG komme jedoch nur dann in Betracht, wenn sie Schutz oder Beistand des UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen und sich in dessen Einsatzgebiet aufgehalten hätten.
Eine Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegen, bindet die für die Abschiebung zuständige Ausländerbehörde auch bei einer nachträglichen Änderung der Sachlage, meint der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seinem Beschluss vom 6. Dezember 2022 (Az. 12 S 2546/22), und es existiere kein aus Unions- und Verfassungsrecht folgendes Gebot, § 42 Satz 1 AsylG restriktiv auszulegen. Außerdem sei die Ausländerbehörde ohne das Hinzutreten besonderer Umstände nicht verpflichtet, bei anwaltlich vertretenen Ausländern eine Rechtsberatung zu Inhalt und Reichweite des § 42 Satz 1 AsylG zu leisten.
In seinem Urteil vom 17. Januar 2023 (Az. 84523/17, Daraibou gg. Kroatien) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung des Rechts auf Leben (Art. 2 EMRK) in einem Fall angenommen, in dem ein Feuer in einem Polizeigefängnis in Kroatien 2015 zum Tod von drei inhaftierten Migranten geführt hatte. Das Recht auf Leben des Beschwerdeführers, eines Überlebenden des Feuers, sei verletzt worden, weil die Inhaftierten nicht gründlich untersucht worden seien und das Feuer mit einem Feuerzeug auslösen konnten, außerdem seien die Ermittlungen der Behörden nach dem Brand unzureichend gewesen, weil sie nicht geeignet gewesen seien, ähnliche Vorfälle in der Zukunft zu verhindern.
In seinem Urteil vom 20. Dezember 2022 (Az. 37241/21, S.H. gg. Malta) hält der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Asylverfahren in Malta für strukturell mangelhaft und hat eine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers aus Artt. 3, 13 EMRK angenommen. Unter anderem bemängelte der EGMR den fehlenden Zugang zu Rechtsberatung für inhaftierte Asylsuchende, überzogene Beweisanforderungen, unzureichende Begründungen ablehnender Entscheidungen und fehlende Rechtsschutzmöglichkeiten.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 15. Dezember 2022 (Az. 64050/16 u.a., W.A. u.a. gg. Ungarn) eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch Ungarn in einem Verfahren festgestellt, in dem es um die Abschiebung von Asylsuchenden aus Ungarn nach Serbien im Jahr 2016 ging. Ungarn hätte nicht davon ausgehen dürfen, dass Serbien ein sicherer Drittstaat sei, so der EGMR.
Entspricht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge während eines laufenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens dem Anliegen der Beschwerdeführerin und erledigt sich die Verfassungsbeschwerde dadurch, kommt es für die Kostenerstattung der Beschwerdeführerin darauf an, warum das BAMF abgeholfen hat, so das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 29. Dezember 2022 (Az. 2 BvR 1216/21). Sofern nicht davon auszugehen sei, dass das BAMF gerade deswegen abgeholfen hat, weil es das verfassungsrechtliche Vorbringen der Beschwerdeführerin für durchgreifend erachtet hätte, sondern aus anderen Erwägungen wie einer geänderten Rechtslage, komme eine Kostenerstattung nicht in Betracht.
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Volltext seines Urteils vom 11. Oktober 2022 (Az. 1 C 49.21) veröffentlicht, in dem es entschieden hatte, dass § 28 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 31 Abs. 1 und 4 AufenthG dem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen nach Aufhebung der familiären Lebensgemeinschaft kein eigenständiges befristetes Aufenthaltsrecht vermittelt.