Darf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Abschiebungsandrohung erlassen, ohne inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse zu prüfen, und sich darauf berufen, dass die Ausländerbehörde das schon berücksichtigen werde? Etwa, wenn es um das Zusammenleben eines Kindes mit seinen Eltern, oder einem Elternteil, in Deutschland geht? Ja, sagt die Rechtsprechung bislang, etwa das Oberverwaltungsgericht Münster in seinem Urteil vom 23. April 2021, Az. 19 A 810/16.A. Das Verwaltungsgericht Berlin hält das in seinem Urteil vom 3. Juni 2022 (Az. 26 K 91.17 A) für falsch, nämlich für europarechtswidrig. Eine Abschiebungsandrohung sei eine Rückkehrentscheidung gemäß Art. 6 der EU-Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG, dabei müssten gemäß Art. 5 der Richtlinie das Wohl des Kindes und familiäre Bindungen berücksichtigt werden, und zwar vor Erlass der Rückführungsentscheidung, was im entschiedenen Verfahren jedoch nicht geschehen sei. Zwar spricht Art. 5 der Richtlinie lediglich davon, dass Kindeswohl und familiäre Bindungen (allgemein) „bei der Umsetzung [der] Richtlinie“ berücksichtigt werden müssen, eine notwendige Berücksichtigung gerade vor Erlass einer Rückkehrentscheidung ergibt sich aber jedenfalls aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshof vom 11. März 2021 (Rs. C-112/20, M.A. gg. Belgischer Staat). Das VG Berlin liegt hier richtig und wirft dem OVG Münster nicht ganz zu Unrecht vor, sich dem EuGH-Urteil „ergebnisorientiert“ verschlossen zu haben.
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