Die Tatsachenfrage, ob Betroffenen, denen in einem anderen EU-Mitgliedstaat internationaler Schutz gewährt worden ist, in diesem Mitgliedstaat bei einer Rückkehr oder Rückführung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh drohen, kann Gegenstand einer Grundsatzrüge nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG sein, meint der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 3. April 2023 (Az. OVG 3 N 18/23). Das OVG lehnte zwar den Antrag auf Zulassung der Berufung in dem Verfahren ab, sah sich aber zu zwar nicht entscheidungsrelevanten, dafür aber sehr ausführlichen Hinweisen veranlasst, warum es von einer Verallgemeinerungsfähigkeit solcher Tatsachenfragen ausgeht.
Sofern die Auffassung vertreten werde, nämlich unter anderem von verschiedenen anderen Senaten des OVG Berlin-Brandenburg, dass die Beantwortung dieser Frage keiner allgemeinen Klärung zugänglich sei, weil sie (stets) von den Umständen des Einzelfalles, nämlich einer Vielzahl von individuellen Umständen und Faktoren, abhänge, folge der Senat dem nicht. Die These sowie die daraus abgeleitete Annahme, dass diese Frage sich nicht abstrakt und allgemein (für die in einen EU-Mitgliedstaat zurückkehrenden Schutzberechtigten) klären lasse, berücksichtige zunächst nicht hinreichend, dass ein nicht (mehr) von individuellen Umständen abhängiger Verstoß gegen Art. 4 GRCh schon denklogisch nicht ausgeschlossen sei, sodass eine Verallgemeinerungsfähigkeit gegeben sein könne. Die Behauptung, alles hänge stets (nur) von den individuellen Umständen des Einzelfalles ab, setze bereits eine Verneinung der Frage voraus, ob die tatsächlichen Verhältnisse für sämtliche Rückkehrer in dem Mitgliedstaat der ersten Asylantragstellung eine Situation extremer materieller Not bedeuteten, aufgrund derer die beachtliche Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes gegen Art. 4 GRCh für jede Rückführung bestehe.
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