Verwaltungsgericht Frankfurt/Main steht zu Diskretionsgebot

Laut zahlreichen Medienberichten (taz, taz, Frankfurter Rundschau, hessenschau, FAZ, LSVD, beck-aktuell) hat das Verwaltungsgericht Frankfurt/Main in einem Urteil vom 16. August 2022 (Az. 3 K 469/21.F.A) die Klage eines homosexuellen Algeriers gegen die Ablehnung seines Asylfolgeantrags unter anderem mit der Erwägung abgelehnt, der Kläger solle seine Homosexualität in Algerien nicht ausleben, sondern ein „unauffälliges Leben“ führen. Selbst die Pressemitteilung des Gerichts stellt darauf ab, dass der Kläger zwar „Umarmen, Küssen, Händchenhalten in der Öffentlichkeit“ vermisse, dass dies aber in Algerien auch unter heterosexuellen Paaren unüblich und verpönt sei. Das erinnert an die Argumentation des Gerichts in einem früheren Verfahren (Urteil vom 5. März 2020, Az. 3 K 2341/19.F.A), gegen das der Verwaltungsgerichtshof Kassel die Berufung in seinem Beschluss vom 4. November 2020 (Az. 4 A 1215/20.Z.A) nicht zugelassen hatte. Einmal abgesehen davon, dass die Rechtsauffassung des Gerichts entgegen der Ausführungen in seiner Pressemitteilung sehr wohl in Widerspruch zur einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 7. November 2013, Rs. C-199/12 u.a.) stehen dürfte, fehlt hier doch auch jede Bezugnahme auf eine drohende nichtstaatliche Verfolgung Homosexueller in Algerien, die etwa vor nicht allzu langer Zeit das Verwaltungsgericht Würzburg (Urteil vom 15. Juni 2020, Az. W 8 K 20.30255) oder das Verwaltungsgericht Karlsruhe (Urteil v. 14. August 2018, Az. A 1 K 6549/16) bejaht hatten.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Neueste Newsletter

  • Fortdauernde Flucht

    Ein allgemeiner Erfahrungssatz besagt, dass man zu jeder migrationsrechtlichen Frage Entscheidungen von mindestens zwei Gerichten finden kann, in denen zu dieser Frage gegensätzliche Rechtsauffassungen vertreten werden. Das Verwaltungsgericht Berlin probiert in dieser Woche aus, ob man das nicht auch innerhalb des Gerichts hinkriegt: Die 37. Kammer…

    Weiterlesen..

  • Contra mundum

    Es geht in dieser Woche um die vom französischen Asylgerichtshof angenommene Gruppenverfolgung von Palästinensern im Gazastreifen, um Gefahren in der Zentral- und Westukraine, die das Verwaltungsgericht Berlin für nicht beachtlich hält, und um mögliche Kampfeinsätze in der Ukraine als Gefahr für russische Wehrpflichtige, über die sich…

    Weiterlesen..

  • Schwierige Verhältnisse

    Die Rechtsprechung im Asyl- und Migrationsrecht wird gefühlt auch jede Woche politischer. Das liegt wohl weniger an den Gerichten als vielmehr an der neuen Bundesregierung, die mit juristisch zweifelhaftem Aktionismus aufwartet und aufwarten lässt. In dieser Woche geht es dementsprechend um Zurückweisungen, die vielleicht gar keine…

    Weiterlesen..

  • Fiktiver Aufenthalt

    Was tut die italienische Regierung mit einem leerstehenden Migrationszentrum in Albanien, in dem sie keine Schutzsuchenden unterbringen (d.h. inhaftieren) kann, weil die italienischen Gerichte Einwände haben? Sie widmet das Zentrum einfach in eine Abschiebungshaftanstalt um. Ärgerlich nur aus Sicht der Regierung, dass die italienischen Gerichte schon…

    Weiterlesen..

  • Restriktivere Handhabung

    Mal wieder eine Dublin-Woche im HRRF-Newsletter, in der darum geht, ob die Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils einem neuen Dublin-Bescheid im Wege steht (ja), ob Dublin-Überstellungsfristen durch gerichtlichen Eilrechtsschutz unterbrochen werden (man ist sich nicht einig) und ob Schutzberechtigten in Griechenland Menschenrechtsverletzungen drohen (man ist sich ebenfalls…

    Weiterlesen..

ISSN 2943-2871