Zurückverweisung statt Beweisaufnahme bei Oberverwaltungsgerichten

Am 1. Januar 2023 ist das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 21. Dezember 2022 in Kraft getreten und hat § 79 Abs. 2 AsylG geändert, der Oberverwaltungsgerichten nun die Möglichkeit einräumt, Verfahren an ein Verwaltungsgericht zurückzuverweisen, unter anderem wenn das Verwaltungsgericht die „allgemeine asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevante Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat“ anders als das Oberverwaltungsgericht beurteilt hat und nach der abweichenden Beurteilung des Oberverwaltungsgerichts eine „umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme“ notwendig ist. Nach einer solche Zurückverweisung ist das Verwaltungsgericht an die rechtliche und tatsächliche Beurteilung [in] der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts gebunden (§ 79 Abs. 2 S. 2 AsylG).

Wie das in der Praxis funktioniert, zeigt der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs München vom 6. März 2023 (Az. 24 B 23.30101). In diesem Verfahren, in dem es um aus Äthiopien Geflüchtete ging, hat der VGH ein Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg von Mai 2018 (!) unter Bezugnahme auf den neuen § 79 Abs. 2 AsylG aufgehoben, weil das Verwaltungsgericht in zahlreichen Fällen ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung eine politische Verfolgung wegen exilpolitischer Betätigung bejaht und nicht geprüft habe, ob andere Gründe für die Gewährung von Flüchtlingsschutz oder von subsidiärem Schutz oder für die Feststellung von Abschiebungshindernissen vorlägen. Der VGH beurteile die allgemeine Situation hinsichtlich der exilpolitischen Betätigung anders als das VG Würzburg, die noch anhängigen Berufungsverfahren müssten daher mündlich verhandelt werden. Die hierfür notwendige Prüfung der aktuellen allgemeinen Lage in Äthiopien sowie der individuellen Situation der jeweiligen Kläger sei mit umfassenden Beweiserhebungen verbunden, die zu erheblichen Verzögerungen in anderen Streitsachen führen würden.

Diese Verzögerungen werden natürlich immer noch eintreten, nur eben nicht mehr beim Verwaltungsgerichtshof. Bereits der Entwurf des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (BT-Drs. 20/4327 vom 8. November 2022, S. 44) erwähnt, dass konkrete Verfahren (noch) länger dauern könnten, jedoch die durch die Änderung von § 79 Abs. 2 AsylG eingeführte bessere Steuerung der „Lastenverteilung“ zwischen Verwaltungsgerichten und Oberverwaltungsgerichten insgesamt zu einer Beschleunigung der Verfahren führen werde. Das bleibt abzuwarten.

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ISSN 2943-2871