Subsidiärer Schutz für Gaza-Flüchtlinge

In fast schon seltener Einmütigkeit gehen deutsche Verwaltungsgerichte derzeit davon aus, dass Flüchtlingen aus dem Gaza-Streifen in Deutschland subsidiärer Schutz zu gewähren ist, weil dort ein bewaffneter Konflikt herrscht, in dessen Rahmen jeder dort befindlichen Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit droht. Zu den neueren einschlägigen Entscheidungen zählen etwa das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Februar 2024 (Az. 34 K 5/23 A) und das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 7. März 2024 (Az. A 5 K 1560/22). Es handele sich um offenkundige Tatsachen, so das VG Berlin, die keines Beweises bedürften, und es sei auch nicht mit einem baldigen Ende des Krieges und einer Entspannung der Lage zu rechnen. Auch die humanitäre Situation, so das VG Sigmaringen, sei derzeit und auf unabsehbare Zeit unbeschreiblich katastrophal, so dass die Schwelle einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts offensichtlich überschritten sei.

Insbesondere das VG Sigmaringen wird in Hinblick auf die Praxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, über Asylanträge von Gaza-Flüchtlingen derzeit nicht zu entscheiden, einigermaßen deutlich und hält nichts von einer angeblich „fehlenden Spruchreife“ wegen der „Volatilität der Lage“ im Gaza-Streifen. Den verfügbaren Erkenntnismitteln und den Verlautbarungen der Konfliktparteien lasse sich entnehmen, dass die Kampfhandlungen mitnichten in absehbarer Zeit beendet würden, vielmehr dauere der offene Konflikt nunmehr bereits fünf Monate und füge sich im Übrigen in eine seit Jahren immer wieder eskalationsanfällige angespannte Lage ein, die vielfach wiederholt zu Gewaltausbrüchen geführt habe. Prognostisch müsse daher bis auf Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Gefahren für Zivilpersonen in beachtlicher Weise fortbestehen würden. Unabhängig davon sei außerdem unzweifelhaft, dass die desaströse humanitäre und wirtschaftliche Lage selbst bei einem Abflauen der offenen Kampfhandlungen von unabsehbarer Dauer und Härte bleiben werde.

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ISSN 2943-2871