Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 15. Oktober 2024 (Az. 13337/19) entschieden, dass die Zurückweisung eines im September 2018 an der deutsch-österreichischen Grenze von der Bundespolizei aufgegriffenen Schutzsuchenden nach Griechenland gegen Art. 3 EMRK verstoßen hat. Die Bundespolizei hatte ein Asylgesuch des Schutzsuchenden ignoriert und ihn ohne Dublin-Verfahren oder sonstige Prüfung in ein Flugzeug nach Athen gesetzt, wo er über mehrere Monate inhaftiert war, was der Gerichtshof ebenfalls als menschenrechtswidrig rügte.
Es habe keine ausreichende Grundlage für eine allgemeine Vermutung gegeben, dass der Beschwerdeführer nach seiner Abschiebung von Deutschland nach Griechenland Zugang zu einem angemessenen Asylverfahren in Griechenland haben würde, das ihn vor einer Zurückweisung schütze, und dass er dort nicht Gefahr laufen würde, einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Weder die Verwaltungsvereinbarung, auf deren Grundlage der Kläger abgeschoben worden sei, noch eine individuelle Zusicherung hätten Garantien dafür vorgesehen, dass Asylsuchende, die auf der Grundlage dieser Vereinbarung abgeschoben würden, nach ihrer Abschiebung Zugang zu einem wirksamen Asylverfahren in Griechenland hätten, in dem die Begründetheit ihres Asylantrags geprüft würde, und dass Asylsuchende, die auf der Grundlage dieser Vereinbarung abgeschoben würden, in Griechenland nicht einer Behandlung ausgesetzt würden, die gegen Art. 3 EMRK verstoße, z. B. wegen der Haftbedingungen oder der Lebensbedingungen für Asylsuchende. Außerdem sei der Beschwerdeführer übereilt abgeschoben („hastily removed“) worden, ohne dass er vor seiner Abschiebung Zugang zu einem Anwalt gehabt hätte.
Es ist nicht so, dass diese Entscheidung inhaltlich überrascht. Dass Zurückweisungen von Schutzsuchenden an EU-Binnengrenzen, etwa im Rahmen des vom Gerichtshof angesprochenen „Seehofer-Deals“ von 2018, rechtswidrig sind, wusste man schon vorher (siehe etwa hier und hier und hier und auch hier). Dass Zurückweisungen innerhalb der EU auch menschenrechtswidrig sein können, ist spätestens seit dem M.S.S.-Urteil des Gerichtshofs vom 21. Januar 2011 bekannt. Das neuerliche Urteil des Gerichtshofs kommt zur rechten Zeit, um der Debatte um die Zurückweisung von Schutzsuchenden an den deutschen Grenzen einen Riegel vorzuschieben.
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