In dieser Woche geht es wieder um Abschiebungshaft (auch in Zypern), die statusrechtlichen Auswirkungen eines anhängigen Härtefallverfahrens, die Haftung von Kindern für ihre Eltern sowie um einen mutmaßlichen Taschenspielertrick des BAMF.
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In dieser Woche geht es wieder um Abschiebungshaft (auch in Zypern), die statusrechtlichen Auswirkungen eines anhängigen Härtefallverfahrens, die Haftung von Kindern für ihre Eltern sowie um einen mutmaßlichen Taschenspielertrick des BAMF.
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) München hat entschieden, dass Minderjährige sich das Verhalten ihrer Eltern bei Anordnung einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1c AufenthG zurechnen lassen müssen (Beschluss vom 15.6.2021, Az. 19 ZB 20.1219). Diese letztlich aus § 80 Abs. 1 AufenthG abgeleitete Zurechnung erscheint etwas fragwürdig, weil die amtliche Begründung des der Bestimmung zugrundeliegenden Gesetzentwurfs (BR-Drs. 179/17 v. 23.2.2017, S. 19) immerhin ausdrücklich festhält, dass es gerade keine solche Zurechnung gebe, was aber nach Ansicht des VGH irrelevant sei, weil dies im Wortlaut der Bestimmung keine Berücksichtigung gefunden habe.
Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 20.4.2021 (Az. XIII ZB 47/20) klargestellt, dass der Vermutungstatbestand des § 62 Abs. 3a Nr. 5 AufenthG die Vereitelung einer konkreten Abschiebungsmaßnahme der Behörde durch den Ausländer voraussetzt. Habe die Behörde etwa noch keinen Termin für eine Abschiebung ins Auge gefasst, sondern dem Betroffenen Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise gegeben, habe der sich einer Abschiebung nicht entzogen.
Mit Beschluss vom 20.4.2021 (Az. XIII ZB 85/20) hat der Bundesgerichtshof zur Anwendung des Beschleunigungsgebots bei Abschiebungshaft während der Coronapandemie ausgeführt, dass Organisationsversuche in Hinblick auf eine Individualabschiebung unterbleiben dürfen und stattdessen eine Sammelabschiebung vorgesehen sein darf: Die Behörde dürfe davon ausgehen, dass die Vorbereitung einer Individualabschiebung deutlich mehr Zeit als normalerweise in Anspruch nehmen würde.
In seinem Beschluss vom 20.4.2021 (Az. XIII ZB 93/20) hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass über einen Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit von Abschiebungshaft nur einmal entschieden darf, nämlich entweder im Haftanordnungsverfahren oder im Haftaufhebungsverfahren, aber nicht in beiden Verfahren: Anders als die Entscheidung über die Haftanordnung erwachse die Entscheidung über die Festellung der Rechtswidrigkeit der Haft nämlich in materielle Rechtskraft und sperre daher der nach Erledigung zuerst rechtshängig gewordene Feststellungsantrag einen inhaltsgleichen Antrag in einem weiteren Verfahren.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit Urteil vom 29.6.2021 (Az. 37139/13) Zypern verurteilt, weil die Haftbedingungen in Abschiebungshaft gegen Art. 3 EMRK und die Ausgestaltung des Haftprüfungsverfahrens gegen Art. 5 EMRK verstießen. Der Beschwerdeführer war zeitweise mit sieben anderen Inhaftierten in einer weniger als 20 Quadratmeter großen Zelle untergebracht; als das Haftgericht bei einem Haftprüfungstermin seine Freilassung angeordnet hatte, wurde er noch im Gerichtsgebäude erneut festgenommen, weil das Gericht, immerhin das Oberste Gericht Zyperns, nach Ansicht der Behörden falsch entschieden hatte.
Mit Beschluss vom 23.6.2021 (Az. 13 PA 96/21) hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entschieden, dass mit einer Annahme einer Eingabe zur Beratung durch eine Härtefallkommission eine Duldung nicht mehr gemäß § 60b AufenthG mit dem Zusatz „mit ungeklärter Identität“ versehen werden darf. Dann sei nämlich die von § 60b Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Kausalität zwischen dem Verhalten des Ausländers und dem Misslingen der Aufenthaltsbeendigung unterbrochen; etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass nach § 23a AufenthG subjektive Rechte des Ausländers ausgeschlossen sein sollen.
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg geht in seinem Beschluss vom 27.5.2021 (Az. OVG 2 B 16/20) davon aus, dass die Aussetzung der Vollziehung einer Dublin-Abschiebungsanordnung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gemäß § 80 Abs. 4 VwGO nicht zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO führt. Das OVG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, was u.a. damit zu tun haben dürfte, dass das Bundesverwaltungsgericht diesen „Taschenspielertrick“ des BAMF zwischenzeitlich in zwei Verfahren (siehe die Beschlüsse vom 26.1.2021, Az. BVerwG 1 C 52.20 und BVerwG 1 C 53.20) dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt hat.
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Ein allgemeiner Erfahrungssatz besagt, dass man zu jeder migrationsrechtlichen Frage Entscheidungen von mindestens zwei Gerichten finden kann, in denen zu dieser Frage gegensätzliche Rechtsauffassungen vertreten werden. Das Verwaltungsgericht Berlin probiert in dieser Woche aus, ob man das nicht auch innerhalb des Gerichts hinkriegt: Die 37. Kammer…
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Es geht in dieser Woche um die vom französischen Asylgerichtshof angenommene Gruppenverfolgung von Palästinensern im Gazastreifen, um Gefahren in der Zentral- und Westukraine, die das Verwaltungsgericht Berlin für nicht beachtlich hält, und um mögliche Kampfeinsätze in der Ukraine als Gefahr für russische Wehrpflichtige, über die sich…
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Die Rechtsprechung im Asyl- und Migrationsrecht wird gefühlt auch jede Woche politischer. Das liegt wohl weniger an den Gerichten als vielmehr an der neuen Bundesregierung, die mit juristisch zweifelhaftem Aktionismus aufwartet und aufwarten lässt. In dieser Woche geht es dementsprechend um Zurückweisungen, die vielleicht gar keine…
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Was tut die italienische Regierung mit einem leerstehenden Migrationszentrum in Albanien, in dem sie keine Schutzsuchenden unterbringen (d.h. inhaftieren) kann, weil die italienischen Gerichte Einwände haben? Sie widmet das Zentrum einfach in eine Abschiebungshaftanstalt um. Ärgerlich nur aus Sicht der Regierung, dass die italienischen Gerichte schon…
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Mal wieder eine Dublin-Woche im HRRF-Newsletter, in der darum geht, ob die Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils einem neuen Dublin-Bescheid im Wege steht (ja), ob Dublin-Überstellungsfristen durch gerichtlichen Eilrechtsschutz unterbrochen werden (man ist sich nicht einig) und ob Schutzberechtigten in Griechenland Menschenrechtsverletzungen drohen (man ist sich ebenfalls…