Beschwert oder nicht beschwert?

Darf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge inhaltlich über einen Asylantrag entscheiden, wenn der Antragsteller schon in einem anderen EU-Staat als Flüchtling anerkannt wurde? Eigentlich geht das nicht und muss der Antrag als unzulässig abgelehnt werden (siehe § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), ausnahmsweise geht es aber schon, nämlich vor allem dann, wenn in dem anderen EU-Staat eine menschenrechtswidrige Behandlung droht und der in Deutschland gestellte Asylantrag aus diesem Grund nicht als unzulässig abgelehnt werden darf. Wenn das Verwaltungsgericht es allerdings anders sieht als das Bundesamt und meint, dass der Antrag als unzulässig hätte abgelehnt werden müssen, dann scheint es keine Einigkeit zu geben, ob nur die Aussagen im Bescheid zu den zielstaats-, d.h. herkunftsstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen, die Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgehoben werden müssen, oder ob der Bescheid insgesamt aufzuheben ist.

Letzteres meint etwa das Verwaltungsgericht Aachen in seinem Urteil vom 3. Juli 2025 (Az. 4 K 2551/23.A), das argumentiert, dass in dem klägerischen Antrag auf Verpflichtung des Bundesamts zur Anerkennung als „Minus“ ein Anfechtungsantrag enthalten sei: Die Ablehnung des Asylantrags als unbegründet nach inhaltlicher Prüfung sei gegenüber der eigentlich gebotenen Ablehnung als unzulässig mit der zusätzlichen Beschwer (d.h. negativen Folge) verbunden, dass jeder weitere Asylantrag als Folgeantrag anzusehen wäre. Das wiederum sieht das Verwaltungsgericht Köln in seinem Urteil vom 18. August 2025 (Az. 27 K 3863/22.A) genau anders herum: Ein Antragsteller werde durch die Ablehnung eines Antrags in der Sache statt der Ablehnung des Antrags als unzulässig nicht beschwert, insbesondere nicht deswegen, weil jeder weitere Asylantrag wegen der Ablehnung in der Sache als Folgeantrag eingestuft werden würde, weil eine materielle (d.h. inhaltliche) Prüfung des Asylantrags ja bereits stattgefunden habe.

Aus Sicht des Bundesamts mag die inhaltliche Entscheidung über einen in Deutschland gestellten Asylantrag nicht nur den Vorteil haben, dass weitere Asylanträge als Folgeanträge zu behandeln wären, sondern auch den Vorteil, dass im ablehnenden Bescheid die Abschiebung in den Herkunftsstaat angedroht werden kann, die, skurril genug, einfacher zu vollstrecken sein mag als die Abschiebung in den anderen EU-Staat. Ob die Flüchtlingsanerkennung im anderen EU-Staat einer solchen Praxis nicht entgegensteht, ist derzeit nicht ganz klar, bald aber vermutlich schon.

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ISSN 2943-2871