EuGH postuliert universelles unionsrechtliches Missbrauchsverbot

In seinem Urteil vom 29. Juli 2024 (Rs. C-14/23), in dem es um die Auslegung der REST-Richtlinie 2016/801/EU über Aufenthalte u.a. zu Forschungs- oder Studienzwecken ging, hat der Europäische Gerichtshof den vor allem aus dem europäischen Steuer- und Gesellschaftsrecht bekannten „allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz des Missbrauchsverbots“ kurzerhand ins Aufenthaltsrecht übertragen. In dem Verfahren hatten belgische Behörden die Absicht einer Drittstaatsangehörigen angezweifelt, in Belgien studieren zu wollen, und ihren Antrag auf ein Studentenvisum abgelehnt, obwohl Belgien die in der REST-Richtlinie vorgesehenen Ablehnungsgründe nicht in nationales Recht umgesetzt hatte.

Alles kein Problem, meint der EuGH, weil man sich nach dem allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts nicht „betrügerisch oder missbräuchlich“ auf das Unionsrecht berufen könne. Ein Mitgliedstaat müsse die Anwendung von Vorschriften des Unionsrechts vielmehr verweigern, wenn diese nicht geltend gemacht würden, um die Ziele der Vorschriften zu verwirklichen, sondern um in den Genuss eines im Unionsrecht vorgesehenen Vorteils zu kommen, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen „lediglich formal“ erfüllt seien. Einfachrechtliche Ablehnungsgründe der REST-Richtlinie schlössen die Anwendung des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes des Missbrauchsverbots nicht aus, da dieser Grundsatz anders als die Vorschriften einer Richtlinie nicht erst umgesetzt werden müsse, so dass es letztlich auch nicht darauf ankomme, dass die Ablehnungsgründe der REST-Richtlinie in Belgien nicht in nationales Recht umgesetzt worden seien. Der Nachweis eines Missbrauchs setze dabei zum einen eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände voraus, die ergeben müsse, dass trotz formaler Einhaltung der unionsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht worden sei, und zum anderen ein subjektives Element, nämlich die Absicht, sich einen unionsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen würden.

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ISSN 2943-2871