Ein spannendes neues Vorabentscheidungsersuchen (Rs. C-440/25) ist vor kurzem beim Europäischen Gerichtshof gelandet, in dem es unter anderem um die Frage geht, was unter „begründeter Furcht“ vor Verfolgung im Sinne von Art. 2 Buchst. d der EU-Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU zu verstehen ist. Das vorlegende niederländische Gericht schlägt vor, für die Beantwortung dieser Frage auf das vom deutschen Bundesverwaltungsgericht formulierte Kriterium eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen abzustellen, so dass gefragt werden müsse, ob aus Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in das Heimatland als unzumutbar erscheine. Eine mathematische Wahrscheinlichkeitsrechnung sei demgegenüber meistens unmöglich, da der ganz überwiegende Teil der Länderinformationen qualitativer Art sei.
Die niederländische Sprachfassung des Vorabentscheidungsersuchens ist deutlich umfangreicher ausgefallen als die vom Gerichtshof bereitgestellte deutsche Übersetzung und enthält außerdem zahlreiche Fußnoten, wenngleich die Rechtsprechung des deutschen Bundesverwaltungsgerichts nur auf dem Umweg über den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 17. August 2018 (Az. 2 LA 1584/17) zitiert wird. In dem Verfahren geht es nicht nur um die Frage, was begründete Furcht ist, sondern auch um die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit „verwestlichter“ Frauen zu einer bestimmten sozialen Gruppe und um nationale Kompetenzverteilungen zwischen Asylbehörden und Gerichten. Im Verfassungsblog stellen Türkan Ertuna Lagrand und Salvatore Nicolosi das Vorabentscheidungsersuchen im Detail vor.
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