Haftgerichte müssen Abschiebungshindernisse (manchmal) prüfen

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem (gerade noch nicht in deutscher Sprachfassung erhältlichen) Urteil vom 4. September 2025 (Rs. C-313/25 PPU, Adrar) die EU-Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG ausgelegt und meint, dass nationale Haftgerichte bei der Verhängung oder Überprüfung von Abschiebungshaft „gegebenenfalls“ von Amts wegen zu prüfen haben, ob die Abschiebung rechtlich zulässig ist oder ob ihr die in Art. 5 der Richtlinie geregelten Gründe entgegenstehen, insbesondere der Grundsatz der Nichtzurückweisung sowie das Wohl des Kindes und familiäre Bindungen.

Das Urteil ist, wenn ich es richtig verstanden habe, eine Fortführung des Ararat-Urteils des Gerichtshofs vom 17. Oktober 2024 (Rs. C-156/23) und die Übertragung seiner Grundsätze auf die Abschiebungshaft: Haftgerichte werden Abschiebungshindernisse künftig manchmal prüfen müssen. In Deutschland sind für eine solche Prüfung derzeit (und wohl auch künftig) die Verwaltungsgerichte zuständig, so dass eine weitere Prüfung durch die als Haftgerichte agierenden Amts- und Landgerichte zu durchaus interessanten Fragestellungen führen dürfte. Ganz so einfach ist es vermutlich aber auch wieder nicht: Schon bei der Interpretation des Ararat-Urteils gab es Unklarheiten hinsichtlich der Reichweite der Aussagen des Gerichtshofs, die zum Beispiel das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem Beschluss vom 16. Mai 2025 (Az. 13 ME 32/25) gut zusammenfasst. Diese Unklarheiten sind im neuen Urteil ebenso angelegt, in dem es heißt, dass die Haftgerichte „le cas échéant“, also „gegebenenfalls“ (oder „erforderlichenfalls“, wie es in der deutschen Übersetzung des Vorabentscheidungsersuchens heißt) prüfen müssen, aber eben nicht immer.

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ISSN 2943-2871