Es ist ja nicht so, dass es nicht schon gefühlt unzählige Informationsquellen zum Asyl- und Flüchtlingsrecht gäbe. Gleichwohl kann man Dinge immer verbessern und gibt es, soweit ersichtlich, noch keine zeitnahe und systematische Berichterstattung über höchstrichtliche Rechtsprechung zum Flüchtlingsrecht in deutscher Sprache. Außerdem sind Newsletter als Informationsquelle immer noch unterschätzt. Ziel dieses Projekts ist die wöchentliche Kurzberichterstattung über relevante Entscheidungen von EGMR, EuGH, BVerfG, BVerwG, BGH, der Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe, und zwar immer Freitags. Berichtet wird auch über neue Verfahren sowie über untergerichtliche Entscheidungen, sofern sie innovativ, besonders relevant oder umstritten sind.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in zwei jetzt veröffentlichten Beschlüssen vom 20.4.2021 (XIII ZB 36/20 und XIII ZB 63/20) erneut seine Anforderungen an die Begründung der beantragten Haftdauer in Haftanträgen klargestellt und unterinstanzliche Haftentscheidungen aufgehoben: Zwar sei eine nähere Erläuterung des erforderlichen Zeitaufwands für sicherheitsbegleitete Abschiebungen nicht geboten, so der BGH im Verfahren XIII ZB 36/20, wenn die beantragte Haft sechs Wochen nicht überschreite. Allerdings müsse sich die antragstellende Behörde im Haftantrag auch darauf berufen, dass eine sicherheitsbegleitete Abschiebung geplant sei. Bei einer geplanten unbegleiteten Abschiebung innerhalb Europas, so der BGH im Verfahren XIII ZB 63/20, müsse schon bei einer Haftdauer von drei Wochen eine nähere Erläuterung des für die Flugbuchung benötigten Zeitraums und der daraus folgende notwendigen Haftdauer erfolgen.
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 22.6.2021 in der Rs. C-718/19 klargestellt, dass Mitgliedstaaten ausgewiesene Unionsbürger zur Verhinderung von Fluchtgefahr ähnlich behandeln dürfen wie Drittstaatsangehörige, d.h. in Anlehnung an die nationale Umsetzung der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG, allerdings nicht schlechter. Anders sei dies jedoch bei der Höchstdauer der Abschiebungshaft: Sie müsse für Unionsbürger kürzer sein als für Drittstaatsangehörige, weil Unionsbürger leichter abgeschoben werden könnten. Eine Gleichbehandlung würde hier gegen die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG verstoßen. Siehe zu dieser Entscheidung auch den Bericht in juris.
Das Bundessozialgericht hat am 24.6.2021 in fünf Revisionsverfahren zum AsylbLG mündliche Verhandlungen durchgeführt. Laut dem auf der Website des Gerichts veröffentlichten Terminbericht hat es in allen fünf Verfahren (B 7 AY 5/20 R, B 7 AY 4/20 R, B 7 AY 1/20 R, B 7 AY 2/20 R sowie B 7 AY 3/20 R) die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben, die schriftlichen Urteile liegen jedoch noch nicht vor. Hervorzuheben ist vielleicht die Entscheidung im Verfahren B 7 AY 4/20 R, in der das Gericht festhielt, dass ein Aufenthalt im offenen Kirchenasyl nicht rechtsmissbräuchlich im Sinne des AsylbLG ist und damit der Gewährung von Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht im Wege steht.
In seinem Urteil in der Rs. C-719/19 vom 22.6.2021 hat sich der Europäische Gerichtshof im Kontext der Auslegung der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG dazu geäußert, wann der „Aufenthalt“ eines Unionsbürgers in einem Mitgliedstaat endet. Dies kann, wie im vorliegenden Verfahren, praktische Auswirkungen auf die Fortwirkung einer Ausweisungsverfügung und etwa die Zulässigkeit der Anordnung von Abschiebungshaft nach einer Wiedereinreise haben. Die bloße physische Ausreise, so der Gerichtshof, sei für die Beendigung des Aufenthalts und damit für die Beendigung der Wirkungen der Ausweisungsverfügung nicht ausreichend. Siehe zu dieser Entscheidung auch den Beitrag in der LTO.
Laut einem Medienbericht ist die Hamburger AfD am 21.6.2021 mit einer Feststellungsklage vor dem Verwaltungsgericht Hamburg gegen das Verfahren der Besetzung der gemäß § 23a AufenthG eingerichteten Hamburger Härtefallkommission gescheitert. In der Hamburger Bürgerschaft, die die Mitglieder der Härtefallkommission bestimmt, waren von der AfD aufgestellte Kandidaten zwischenzeitlich in 33 Wahlgängen gescheitert. Die schriftlichen Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor.
Zu dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 1.6.2021 (Az. 9 K 135/20 A), in dem die Rechtswidrigkeit einer Handydatenauswertung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) festgestellt worden war, liegt nunmehr die vollständige Entscheidung vor. Das Gericht hielt den hier relevanten § 15a AsylG zwar nicht für verfassungswidrig, dafür aber die Praxis des BAMF für rechtswidrig, Handydaten auf Vorrat auszulesen und über die Erforderlichkeit des Auslesens faktisch erst im Nachhinein zu entscheiden: Bereits im Auslesen der Daten liege ein (nicht gerechtfertigter) Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Siehe zu dieser Entscheidung auch den Bericht in der LTO.
Das Oberverwaltungsgericht Bremen hat mit Beschluss vom 23.6.2021 (Az. 2 B 203/21) seine bisherige Rechtsprechung zur Zuständigkeit für die Prüfung „zwingender Gründe“ im Sinne des § 15a Abs. 1 AufenthG aufgegeben: Solche Gründe sollen nun auch von der für die Verteilungsentscheidung nach § 15a Abs. 2 AufenthG zuständigen Behörde zu prüfen sein, nicht nur, wie nach der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts, von der Ausländerbehörde.
Die tagesschau hatte bereits Ende Mai 2021 über einen Beschluss des Berliner Verfassungsgerichtshofs (VerfGH) berichtet, der einer Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für eine Staatshaftungsklage gegen den deutschen Staat stattgegeben hatte. In dem Verfahren geht es inhaltlich um eine mögliche Mitverantwortung Deutschlands für mutmaßliche Folter in Marokko. Nunmehr liegt auch die schriftliche Begründung der Entscheidung (Az. 16/20) des VerfGH vor. Laut dem VerfGH habe die beabsichtigte Staatshaftungsklage nicht nur entfernte Erfolgsaussichten, da sie von schwierigen und strittigen Rechts- und Tatsachenfragen abhinge. In einem solchen Fall dürfe die Sachentscheidung nicht faktisch in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert werden, weil dies den finanziell unbemittelten Kläger in seinem Recht auf Rechtsschutzgleichheit aus Art. 10 Abs. 1 der Berliner Verfassung verletze.
Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) hat Ausgabe 02/2021 seines vierteljährlichen, thematisch gegliederten Newsletters zur Asylrechtsprechung in der Europäischen Union veröffentlicht, der den Zeitraum März bis Mai 2021 abdeckt. Der Informationsverbund Asyl & Migration weist auf eine neue Rechtsprechungsübersicht zu in Griechenland „Anerkannten“ hin, die die Entscheidungspraxis deutscher Gerichte seit Anfang 2020 auswertet.