Der Europäische Gerichtshof hat in drei Urteilen vom 6. Juli 2023 (Rs. C-663/21, Rs. C-8/22 und Rs. C-402/22) klargestellt, welche Anforderungen sich aus Art. 14 der EU-Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EG für die Aberkennung internationalen Schutzes ergeben.
Danach bestehe zunächst kein Automatismus, nach dem aus einer Verurteilung wegen einer besonders schweren Straftat stets auch eine Gefahr für die Allgemeinheit eines Mitgliedstaats folge. Die zuständige Behörde müsse vielmehr separat festgestellt haben, dass der betreffende Drittstaatsangehörige eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für ein Grundinteresse der Allgemeinheit des Mitgliedstaats darstelle, in dem er sich aufhalte, und dass die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft eine in Bezug auf diese Gefahr verhältnismäßige Maßnahme sei.
Eine „besonders schwere Straftat“ im Sinne von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der EU-Qualifikationsrichtlinie sei (nur) eine solche Straftat, die angesichts ihrer spezifischen Merkmale insofern eine außerordentliche Schwere aufweise, als sie zu den Straftaten gehöre, die die Rechtsordnung der betreffenden Gesellschaft am stärksten beeinträchtigten. Bei der Beurteilung, ob eine Straftat, derentwegen ein Drittstaatsangehöriger rechtskräftig verurteilt wurde, einen solchen Schweregrad aufweise, seien insbesondere die für diese Straftat angedrohte und die verhängte Strafe, die Art der Straftat, etwaige erschwerende oder mildernde Umstände, die Frage, ob diese Straftat vorsätzlich begangen wurde, Art und Ausmaß der durch diese Straftat verursachten Schäden sowie das Verfahren zur Ahndung der Straftat zu berücksichtigen.
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft müsse die zuständige Behörde die vom Betroffenen ausgehende Gefahr gegen die Rechte abwägen, die nach der EU-Qualifikationsrichtlinie den Personen zu gewährleisten seien, die die materiellen Voraussetzungen von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie erfüllen. Die Behörde müsse jedoch darüber hinaus nicht prüfen, ob das öffentliche Interesse an der Rückkehr dieses Drittstaatsangehörigen in sein Herkunftsland in Anbetracht des Ausmaßes und der Art der Maßnahmen, denen er bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland ausgesetzt wäre, sein Interesse an der Aufrechterhaltung des internationalen Schutzes überwiege.
In seinem Urteil in der Rs. C-663/21 hat der EuGH außerdem festgehalten, dass Art. 5 der EU-Rückführungsrichtlinie dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen entgegensteht, wenn feststeht, dass dessen Abschiebung in das vorgesehene Zielland nach dem Grundsatz der Nichtzurückweisung auf unbestimmte Zeit ausgeschlossen ist.
Der EuGH hat zu seinen drei Urteilen auch eine Pressemitteilung veröffentlicht.