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Ausgabe 109 • 18.8.2023

Vertrauensvorschuss

Ein Vertrauensvorschuss für Rechtsanwälte, möglicherweise unzulässige Zweitanträge, vorübergehender Schutz für die Familie von aus der Ukraine Geflüchteten und Kindergeld.

BVerwG setzt Verfahren zur Unzulässigkeit von Zweitanträgen aus

Mit Beschluss vom 1. August 2023 (Az. 1 C 19.22) hat das Bundesverwaltungsgericht ein Revisionsverfahren ausgesetzt, in dem es offenbar um die Frage geht, ob § 71a Abs. 1 AsylG mit der EU-Asylverfahrensrichtlinie vereinbar ist, wenn ein Asylantrag als Zweitantrag mit der Begründung abgelehnt wird, dass bereits in einem anderen EU-Staat außer Dänemark oder Irland ein Asylverfahren durchgeführt wurde. Der Beschluss verweist auf die beim Europäischen Gerichtshof anhängigen Vorabentscheidungsverfahren C-123/23 (Khan Yunis) und C-202/23 (Baabda u. a.), die beide durch Vorlagebeschlüsse des Verwaltungsgerichts Minden vom 28. Oktober 2022 (Az. 1 K 1829/21.A und 1 K 4316/21.A) initiiert wurden.

Inhaltlich geht es in den nun beim EuGH anhängigen Verfahren um Art. 33 Abs. 2 lit. d) EU-Asylverfahrensrichtlinie, wonach die Mitgliedstaaten einen Asylantrag als unzulässig ablehnen können, wenn es sich um einen Folgeantrag handelt, bei dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, und um die Frage, ob diese Bestimmung einer nationalen Rechtsvorschrift wie § 71a Abs. 1 AsylG über Zweitanträge in bestimmten Fallkonstellationen entgegensteht. Der EuGH hatte bereits entschieden, dass eine Vorschrift wie § 71a Abs. 1 AsylG nicht mit Art. 33 Abs. 2 lit. d) EU-Asylverfahrensrichtlinie vereinbar ist, wenn das erste Asylverfahren in einem Drittstaat (wie Norwegen, Urteil vom 20. Mai 2021, Rs. C-8/20) durchgeführt wurde, oder in einem EU-Staat, der nicht an die EU-Qualifikationsrichtlinie gebunden ist (wie Dänemark, Urteil vom 22. September 2022, Rs. C-497/21). Noch offen und jetzt relevant ist aber noch die Frage, ob Art. 33 Abs. 2 lit. d) EU-Asylverfahrensrichtlinie einer Bestimmung wie § 71a Abs. 1 AsylG mitgliedstaatsübergreifend auch dann entgegensteht, wenn das erste Asylverfahren in einem EU-Mitgliedstaat durchgeführt wurde, der an die EU-Qualifikationsrichtlinie gebunden ist, und wenn das Verfahren dort entweder bestandskräftig abgeschlossen oder eingestellt wurde.

Hinzuweisen ist noch darauf, dass beide Vorabentscheidungsverfahren vom EuGH mit fiktiven Namen bezeichnet wurden, die nicht den echten Namen der Verfahrensbeteiligten entsprechen; der EuGH vergibt seit 2023 fiktive Namen an Verfahrensbeteiligte und nutzt dazu einen IT-basierten Namensgenerator.

Zustellungsmangel nach Fax-Übersendung anwaltlicher Vollmacht

Zeigt ein Rechtsanwalt seine Bevollmächtigung gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durch die Übersendung einer Vollmacht per Fax an, so müssen alle Zustellungen des Bundesamts an den Rechtsanwalt erfolgen und ist eine gleichwohl direkt an den Betroffenen gerichtete Zustellung eines Bescheids des Bundesamts unwirksam, meint das Verwaltungsgericht München in seinem einigermaßen komplexen Urteil vom 27. Juli 2023 (Az. M 10 K 18.32967). Die per Fax übersandte Vollmacht sei als schriftliche Vollmacht im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 2 VwZG zu betrachten, unter anderem, weil dem Rechtsanwalt als unabhängigem Organ der Rechtspflege eine besondere Stellung zukomme und er einen „gewissen Vertrauensvorschuss“ für sein ordnungsgemäßes Auftreten genieße. Eine spätere formlose Übermittlung des Bescheids durch Gewährung von Akteneinsicht heile den Zustellungsmangel nicht, wenn bei der Akteneinsicht lediglich eine (elektronische) Kopie des Bescheids übermittelt werde.

Aufenthaltserlaubnis für Ehegatten eines Ukraineflüchtlings

Der Anspruch auf Gewährung vorübergehenden Schutzes nach Art. 2 Abs. 1 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 setzt nicht voraus, dass der Familienangehörige einer ukrainischen Staatsangehörigen, die vor dem 24. Februar 2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatte, selbst infolge der militärischen Invasion der russischen Streitkräfte aus der Ukraine vertrieben wurde, sagt das Verwaltungsgericht Greifswald in seinem Urteil vom 1. August 2023 (Az. 2 A 404/23 HGW). Dies ergebe sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem Sinn und Zweck der Bestimmung und habe zur Folge, dass das Bestehen einer ehelichen oder familiären Lebensgemeinschaft bereits in der Ukraine gerade nicht erforderlich sei.

Unzulässiger Normenkontrollantrag gegen mögliche Diskriminierung beim Kindergeld

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 15. Juni 2023 (Az. 2 BvL 11/14, 2 BvL 12/14) zwei Normenkontrollanträge zu der Frage, ob die Beschränkung der Kindergeldberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern auf bestimmte Aufenthaltstitel in § 62 Abs. 2 EStG 2006 mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als unzulässig zurückgewiesen, weil sie den Anforderungen an die Begründung einer Normenkontrollvorlage nicht genügten. Das vorlegende Gericht müsse sich unter anderem mit den in der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift enthaltenen Differenzierungen und der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinandersetzen, daran mangele es den Normenkontrollvorlagen.

Vermischtes vom Bundesverwaltungsgericht

Das Bundesverwaltungsgericht hat den Volltext seines Urteils vom 25. Mai 2023 (Az. 1 C 6.22) veröffentlicht, in dem es um die Anforderungen an die Ausweisung eines noch nie nach Deutschland eingereisten Ausländers ging; das Gericht hatte zu diesem Urteil auch bereits eine Pressemitteilung veröffentlicht.

Eine Nichtzulassungsbeschwerde des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bremen vom 23. März 2022 (Az. 1 LB 484/21), wonach die zu erwartende Bestrafung eines syrischen Wehrdienstentziehers wegen einer Militärdienstverweigerung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit an eine ihm unterstellte politisch oppositionelle Haltung anknüpfe, hat das BVerwG mit Beschluss vom 21. Juni 2023 (Az. 1 B 48.22) zurückgewiesen. Die Beschwerde habe keine grundsätzliche Bedeutung, weil die aufgeworfenen Fragen entweder bereits geklärt oder nicht entscheidungserheblich seien, und habe auch weder eine Divergenz noch einen Verfahrensmangel aufgezeigt.

Mit Beschluss vom 4. Juli 2023 (Az. 1 B 6.23) hat das BVerwG eine Nichtzulassungsbeschwerde in einem Verfahren verworfen, in dem es um die Registrierung von Schutzsuchenden durch die UNRWA ging, weil die Beschwerde den einschlägigen Darlegungserfordernissen nicht entspreche.