Mit Beschluss vom 23. August 2023 (Az. 1 B 18.23) hat das Bundesverwaltungsgericht eine Nichtzulassungsbeschwerde in einem Verfahren verworfen, in dem die Bedeutung der Verpflichtung zur Abgabe einer Reueerklärung bei einer Rückkehr nach Eritrea für eine Flüchtlingsanerkennung in Deutschland im Raum stand. In der Rechtsprechung des Senats sei zwar geklärt, dass einem subsidiär schutzberechtigten Ausländer die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer nicht mit der Begründung verweigert werden dürfe, dass er einen Pass seines Herkunftsstaates auf zumutbare Weise erlangen könne, wenn der Herkunftsstaat die Ausstellung eines Passes an die Unterzeichnung einer „Reueerklärung“ knüpfe, die mit der Selbstbezichtigung einer Straftat verbunden sei, und der Ausländer plausibel darlege, dass er die Erklärung nicht abgeben wolle. Die Beschwerde lege aber zum einen nicht dar, ob und inwieweit diese Kriterien für die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer auch für die Beurteilung einer flüchtlingsrechtlich relevanten Gefahrenlage gälten. Zum anderen lege sie nicht dar, dass die Voraussetzungen, insbesondere die plausible Darlegung eines der Abgabe der Reueerklärung entgegenstehenden Willens des Klägers, vorlägen und sich die Frage damit überhaupt erst entscheidungserheblich stellen würde.
Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist unzulässig, wenn in einer Abschiebungsandrohung lediglich die Abschiebung „in den Herkunftsstaat“ angedroht wird, meint das Verwaltungsgericht Berlin in seinem Beschluss vom 7. September 2023 (Az. 19 L 277/23 A). Die Benennung eines noch ungeklärten Herkunftsstaates als Zielstaat der Abschiebung habe keinen Regelungscharakter und stelle vielmehr einen nur vorläufigen, unverbindlichen Hinweis des Bundesamts dar, aus dem sich keine Rechtsfolgen ergäben. Insofern sei die Abschiebungsandrohung in einer solchen Situation auch nicht vollziehbar, wodurch die Aufenthaltsgestattung des Betroffenen nicht erlösche. Die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht reiche für ein Erlöschen der Aufenthaltsgestattung bereits nach dem Wortlaut des § 67 Abs. 1 AsylG nicht aus.
Soweit teilweise ein Rechtsschutzbedürfnis im Hinblick darauf angenommen werde, dass das Landesamt für Einwanderung des Landes Berlin in solchen Fällen von einem Erlöschen der Aufenthaltsgestattung auszugehen scheine und diese Frage in der erstinstanzlichen Rechtsprechung umstritten und nicht obergerichtlich geklärt sei, folge die Einzelrichterin dem nicht: Sollte das Landesamt für Einwanderung dem Antragsteller tatsächlich keine Bescheinigung über die gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG qua Gesetz bestehende Aufenthaltsgestattung, sondern lediglich eine Duldung ausstellen, oder in einem etwaigen späteren Verfahren zu einer Aufenthaltsverfestigung von einem Erlöschen der Aufenthaltsgestattung ausgehen, sei es dem Antragsteller zumutbar, hiergegen um Rechtsschutz in dem entsprechenden aufenthaltsrechtlichen Verfahren gegen das Land Berlin nachzusuchen und eine Klärung herbeizuführen. Eine Verlagerung in das asylrechtliche Eilverfahren sei vor diesem Hintergrund nicht geboten, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis hierfür auch nicht anzunehmen sei.
Mit der Anerkennung als Konventionsflüchtling gewährt das Königreich Dänemark ungeachtet seiner fehlenden Bindung an das europäische Asylrecht internationalen Schutz im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, sagt das Verwaltungsgericht Hamburg in seinem Urteil vom 25. August 2023 (Az. 7 A 1252/23). Das Urteil geht ausführlich auf den Umstand ein, dass Dänemark nicht an die EU-Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU oder die EU-Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU gebunden ist, hält ihn aber für unerheblich. Es stehe in Einklang mit Europarecht, die dänische Flüchtlingsanerkennung als „internationalen Schutz“ anzusehen, weil die EU-Qualifikationsrichtlinie keinen eigenständigen unionsrechtlichen Flüchtlingsbegriff schaffe, sondern lediglich den Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention übernehme.
Dementsprechend könne es nicht darauf ankommen, dass das Königreich Dänemark durch die genannten Richtlinien 2013/32/EU und 2011/95/EU nicht unmittelbar gebunden sei, weil es als Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention, auf die sowohl das dänische Recht als auch das Unionsrecht Bezug nähmen, völkerrechtlich nicht weniger gebunden sei als die übrigen Mitgliedstaaten. Außerdem gelte dies ungeachtet der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Zweitanträgen nach einer vorhergehenden ersten, erfolglosen Antragstellung im Königreich Dänemark (Urteil vom 22. September 2022, Rs. C-497/21), weil es dort um die Behandlung eines weiteren Antrags nach vorangegangener Ablehnung einer Schutzgewährung in Dänemark gegangen sei, nicht aber wie im entschiedenen Verfahren um die Behandlung eines weiteren Antrags nach vorangegangener Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Dänemark.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 29. August 2023 (Az. 1 B 16.23) die Revision in einem aufenthaltsrechtlichen Verfahren zugelassen, in dem es um die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erteilung eines Chancen-Aufenthaltsrechts gemäß § 104c Abs. 1 AufenthG geht. Die Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg vom 8. März 2023 (Az. 2 L 102/20) sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, soweit die Beklagte unter entsprechender Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet worden sei, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 AufenthG zu erteilen. Die Revision könne dem Senat Gelegenheit geben, die Anwendbarkeit des § 104c Abs. 1 AufenthG sowie die Bedeutung des in § 104c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vorausgesetzten Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bei minderjährigen Antragstellern näher zu klären.
In seinem Beschluss vom 6. September 2023 (Az. 3 B 141/23) interpretiert das Oberverwaltungsgericht Bautzen die Kriterien für die Annahme, dass eine sichere und dauerhafte Rückkehr eines bei Kriegsausbruchs in der Ukraine aufhältigen Drittstaatsangehörigen in sein Herkunftsland ausgeschlossen sein soll. Danach sollen sich die EU-Mitgliedstaaten zwar auf die allgemeine Lage im Herkunftsland oder in der Herkunftsregion stützen, gleichzeitig solle die betroffene Person aber auch individuelle Anscheinsbeweise dafür erbringen, dass sie nicht sicher und dauerhaft zurückkehren könne.
Das Verwaltungsgericht München geht in seinem Beschluss vom 1. September 2023 (Az. M 4 S 23.2442) (vorhersehbar) davon aus, dass bei der Anwendung von § 24 AufenthG keine Gleichstellung unverheiratet zusammenlebender Paare mit verheirateten Paaren stattfindet, wenn eine ukrainischen Staatsangehörige bei Kriegsausbruch mit ihrem drittstaatsangehörige Partner in der Ukraine lediglich in einer dauerhaften Beziehung zusammengelebt hat. Bereits von Verfassungs wegen stünden nur Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates. Das Verfahren gab dem Verwaltungsgericht immerhin Gelegenheit, auf die Vorschrift des § 67 Abs. 3 S. 2 VwGO hinzuweisen, wonach Prozesshandlungen eines nicht vertretungsberechtigten Bevollmächtigten (hier: einer Mitarbeiterin des Münchner Flüchtlingsrats) bis zu seiner Zurückweisung wirksam sind, was (wie hier) für die Wahrung einer Klagefrist durchaus relevant sein kann.
Ein schönes Beispiel dafür, wie ein Rückholanspruch nach Deutschland nach einer rechtswidrigen Abschiebung durchgesetzt werden kann, bildet das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 23. August 2023 (Az. 9 A 109/23 MD). In dem Verfahren war der Betroffene, der zuvor in Griechenland internationalen Schutz erhalten hatte, nach Ablehnung seines in Deutschland gestellten Asylantrags nach Griechenland abgeschoben worden. Das Verwaltungsgericht verpflichtete das beklagte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, den Betroffenen innerhalb einer Woche nach Rechtskraft seiner Entscheidung auf ihre Kosten nach Deutschland zurückzuführen oder sonst die Voraussetzungen für eine Wiedereinreise zu schaffen. Die Entscheidung begründet nicht nur sehr ausführlich, warum Asylanträge von in Griechenland anerkannten Schutzberechtigten in Deutschland nicht abgelehnt werden dürfen, sondern erläutert auch die Grundlagen eines Rückholanspruchs nach einer rechtswidrigen Abschiebung. Dieser Anspruch ergebe sich als Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch, dessen Anknüpfungspunkt die Rechtswidrigkeit des die Abschiebung begründenden Bescheids sei, nämlich hier der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erlassenen Abschiebungsandrohung. Dass die Abschiebung von einer Behörde eines anderen Rechtsträgers, nämlich der zuständigen Ausländerbehörde, durchgeführt worden sei, ändere nichts an der Verantwortlichkeit des Bundesamts.
Der Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt und der Verein eXchange (Salzwedel) haben zu diesem Verfahren am 16. August 2023 und am 4. September 2023 Pressemitteilungen veröffentlicht.
Ist ein Ausländer unerlaubt eingereist, darf Abschiebungshaft wegen Fluchtgefahr nicht gemäß § 62 Abs. 3b Nr. 7 AufenthG angeordnet werden, sagt der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 18. Juli 2023 (Az. XIII ZB 29/20). Die Vorschrift setze voraus, dass ein Ausländer erlaubt eingereist sei, könne also gerade nicht auf unerlaubt eingereiste Ausländer angewandt werden. Eine analoge Anwendung der Vorschrift komme nicht in Betracht, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehle.
Ein formaler Mangel eines Haftantrags in Form eines „Schreibversehens“, wie etwa der irrtümlichen Übernahme von Formulierungen zu Abschiebungsterminen aus einem früheren Haftantrag, macht den Haftantrag nicht unzulässig, meint der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 18. Juli 2023 (Az. XIII ZB 24/22).
Mit Beschluss vom 23. August 2023 (Az. 1 B 8.23) hat das Bundesverwaltungsgericht eine Nichtzulassungsbeschwerde in einem Verfahren zurückgewiesen, in dem es um die Frage einer Verfolgung wegen Wehrdienstverweigerung in Syrien ging. Die Beschwerde habe nicht aufgezeigt, dass die Berufungsentscheidung, wie behauptet, von dem zum Zeitpunkt der Begründung der Beschwerde am 30. Januar 2023 noch nicht zugestellten und veröffentlichten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Januar 2023 (Az. 1 C 1.22) abweiche.
Mit Antwort vom 5. September 2023 (BT-Drs. 20/8222) hat die Bundesregierung eine Kleine Anfrage im Bundestag beantwortet, in der es um Asylstatistik und asylgerichtliche Verfahren für die Jahre 2022 und 2023 geht. Wie üblich enthält die Antwort, diesmal auf 69 Seiten nur für den asylgerichtlichen Teil, zahlreiche (zahllose) statische Daten zu Rechtsmitteln und Gerichtsentscheidungen für das Jahr 2022 und die ersten Monate des Jahres 2023. So sind etwa beim Bundesverwaltungsgericht nur noch 19 statt wie noch im Januar (siehe BT-Drs. 20/5709 vom 17. Februar 2023) 45 asylgerichtliche Verfahren anhängig. Die meisten Verfahren, nämlich 9.714, sind nach wie vor beim Verwaltungsgericht Berlin anhängig (im Januar noch 9.883 Verfahren anhängig). Die Entscheidungspraxis des Verwaltungsgerichts Gera wird einer besonders detaillierten statistischen Auswertung unterzogen, außerdem teilt die Bundesregierung mit, dass sie die Berechnung von Schutzquoten unter Einbeziehung von Gerichtsentscheidungen für „nicht zielführend“ hält (S. 7). Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge will in Umsetzung des Beschlusses des Europäischen Gerichtshofs vom 15. Februar 2023 (Rs. C-484/22), in dem es um die Berücksichtigung von Kindeswohl und von familiären Bindungen von Minderjährigen vor Erlass einer Rückkehrentscheidung ging, künftig eine „vertiefte Sachverhaltsaufklärung“ durchführen und die §§ 34, 35 AsylG in solchen Fällen nicht mehr anwenden (S. 22f.).