Im Falle einer staatenlosen palästinensischen Familie, die vor ihrer Ausreise immer in Libyen gewohnt habe und in der Lage gewesen sei, ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu bestreiten, seien die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK jedenfalls dann nicht erfüllt, wenn sie in Libyen für eine Übergangszeit auf Unterstützung durch weitere Familienmitglieder zählen könne, so das Oberverwaltungsgericht Bautzen in seinem Urteil vom 6. Oktober 2021 (Az. 5 A 478/19.A). Außerdem, so das OVG, sei ein in Hinblick auf eine chronische Erkrankungen bestehender fortlaufender medizinischer Prüfungsbedarf für ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG nicht relevant, wenn derzeit keine Therapieindikation bestehe. Das OVG führt ungewollt treffend aus, dass eine „Zukunftsperspektive für Kinder und Jugendliche [..] nicht zu den durch Art. 3 EMRK gewährleisteten elementarsten Bedürfnissen“ gehöre.
Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Bautzen in seinem Urteil vom 6. Oktober 2021 (Az. 5 A 486/19.A) liege in Libyen landesweit kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt in Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vor und seien die Anforderungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK im Falle eines arbeitsfähigen gesunden Mannes, der in Libyen jedenfalls für eine Übergangszeit auf Unterstützung durch seine Familie zählen könne, nicht erfüllt. Es komme nicht darauf an, dass die Situation in Libyen fragil sei, weil es keine konkreten Anhaltspunkte für ein „Kippen“ der derzeitigen positiven Entwicklung gebe, ganz im Gegenteil sei ja die Deutsche Botschaft in Tripolis im September 2021 wiedereröffnet worden. In seiner Argumentation zu § 60 Abs. 5 AufenthG gleitet das OVG dann etwas sehr ins Mutmaßliche ab, wenn es sich überzeugt gibt, dass es dem Kläger, der zwar keinen Kontakt mehr zu seiner Familie habe, dennoch gelingen werde, mittels „internetbasierter Kommunikationswege“ Kontakt zu seinen in Libyen lebenden Verwandten aufzunehmen und so jedenfalls für eine Übergangszeit Wohnraum und Nahrung zu erhalten.
Der Verwaltungsgerichtshof Kassel geht laut der Pressemitteilung zu seinem Urteil vom 26. Oktober 2021 (Az. 8 A 1852/20.A) davon aus, dass erwerbsfähige internationale Schutzberechtigte in Bulgarien von keinen systemischen Mängeln hinsichtlich der dortigen Aufnahmebedingungen betroffen seien, insbesondere ihnen nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh in Form von Obdachlosigkeit oder Verelendung drohe. Eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person befände sich in Bulgarien, so der VGH, nicht unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Das BVerwG hatte die Bewertung der Aufnahmebedingungen von Schutzberechtigten in Bulgarien in seinem Urteil vom 21. April 2020 (Az. 1 C 4.19) noch offen gelassen.
Der Euopäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 28. Oktober 2021 (Rs. C-462/20) entschieden, dass Art. 29 Qualifikations-Richtlinie 2011/95/EG den Ausschluss vom Bezug einer Rabattkarte verbiete, sofern es sich dabei um eine Sozialhilfeleistung handele, was das vorlegende Gericht prüfen müsse. Im entschiedenen Fall hatte die italienische Regierung eine „Familienkarte“ eingeführt, die zu Preisnachlässen bei teilnehmenden Händlern berechtigte, wobei Drittstaatsangehörige ausgenommen sein sollten. Der EuGH geht auf die unterschiedlichen Maßstäbe von Art. 29 Abs. 1 und 2 der Qualifikations-Richtlinie leider nicht ein.
Der Bundesgerichtshof erläutert in seinem Beschluss vom 31. August 2021 (Az. XIII ZB 92/20), dass es ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft führe, wenn das Haftgericht die Kontaktaufnahme des Betroffenen durch seine Verfahrensgestaltung vereitele. Im entschiedenen Fall hatte der Betroffene während der Anhörung darum gebeten, mit seinem Rechtsanwalt telefonieren zu dürfen, und obgleich er keine näheren Angaben zur Person seines Rechtsanwalts machen konnte, sei seiner Äußerung zu entnehmen gewesen, dass er mit seinem Mobiltelefon zu einer Kontaktaufnahme in der Lage gewesen wäre, die ihm hätte ermöglicht werden müssen. Dieser Beschluss des BGH führt bisherige Rechtsprechung zum Grundsatz des fairen Verfahrens bei der Anordnung von Abschiebungshaft fort.
Führt die zuständige Behörde in einem Haftantrag zur erforderlichen Dauer der Abschiebungshaft lediglich abstrakt aus, in welchem Zeitraum eine Passersatzbeschaffung (erfahrungsgemäß) möglich sei, mache dies den Haftantrag unzulässig, so der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 31. August 2021 (Az. XIII ZB 35/20). Der Haftantrag müsse Ausführungen dazu enthalten, was für den von dem Haftantrag Betroffenen konkret gelte, jedenfalls bei einer beantragten Haftdauer von zwei Monaten für eine Abschiebung in die Türkei. Der BGH führt mit diesem Beschluss seine ständige Rechtsprechung zum erforderlichen Detaillierungsgrad von Haftanträgen fort.