Mit Beschluss vom 6. Dezember 2021 (Az. 2 BvR 860/21) hat das Bundesverfassungsgericht in der gerichtlichen Bestätigung einer Ausweisung durch das OVG Hamburg einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG gesehen, weil das OVG die gebotene Abwägung zwischen den Ausweisungsinteressen und den grundrechtlich geschützten Bleibeinteressen des Betroffenen nicht nachvollziehbar vorgenommen habe. Die Entscheidung über die Straf(rest)aussetzung zur Bewährung habe Indizwirkung, so dass es in dem Fall, dass Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte zu einer abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr kämen, einer eigenständigen Begründung für eine solche abweichenden Einschätzung bedürfe. Dabei sei es nicht ausreichend, bei Betäubungsmittelstraftaten in jedem Fall ohne Weiteres auf die Gefährdung höchster Gemeinwohlgüter und auf eine kaum widerlegliche Rückfallgefahr zu schließen: Ein allgemeines Erfahrungswissen dürfe nicht zu einer schematischen Gesetzesanwendung führen, die die im Einzelfall für den Ausländer sprechenden Umstände ausblende.
Zwar sei die Verpflichtung eines sich in Deutschland aufhaltenden Ausländers zur Nachholung des aufenthaltsrechtlichen Visumverfahrens grundsätzlich mit Art. 6 GG vereinbar, so das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 9. Dezember 2021 (Az. 2 BvR 1333/21), allerdings müssten Behörden und Gerichte die Frage der Zumutbarkeit einer vorübergehenden Trennung des betroffenen Ausländers von seiner Familie in verfassungsmäßig tragfähiger Weise beurteilen, was im entschiedenen Verfahren nicht geschehen sei. Insbesondere hätte vor der Ablehnung des von dem Ausländer gestellten Antrags auf Erteilung einer einstweiligen Duldung und einer einstweiligen Verfahrensduldung begründet werden müssen, warum angesichts der Praxis und der Dauer der Visumvergabe in der deutschen Botschaft in Nigeria die Nachholung des Visumverfahrens eine lediglich vorübergehende und keine dauerhafte Trennung zur Folge hätte. Das BVerfG hat den ablehnenden Beschluss des VGH München vom 24. Juni 2021 (Az. 10 CE 21.748, 10 C 21.752) aufgehoben.
Mit Beschluss vom 8. Dezember 2021 (Az. 2 BvR 1282/21) hat das Bundesverfassungsgericht einen Beschluss des OLG Düsseldorf über die Zulässigkeit der Auslieferung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation aufgehoben. Der Beschluss verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG, so das BVerfG, weil das OLG die Gefahr des Beschwerdeführers, im Zielstaat politisch verfolgt zu werden und unmenschlichen Haftbedingungen ausgesetzt zu sein, nicht hinreichend aufgeklärt habe. Der Entscheidung des OLG lasse sich nicht entnehmen, worauf das Gericht seine Überzeugung stütze, dass der Beschwerdeführer nicht der Gefahr einer politischen Verfolgung ausgesetzt sein werde, zumal es sich mit den konkreten Schilderungen des Beschwerdeführers, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bewusst unter Mitwirkung staatlicher Hoheitsträger inszeniert worden seien, nicht erkennbar auseinandergesetzt habe.
Mit Urteil vom 16. Dezember 2021 (Az. 1 C 60.20) hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass die Feststellung des Verlusts des Aufenthaltsrechts des drittstaatsangehörigen Ehegatten einer Unionsbürgerin aus Gründen der öffentlichen Ordnung eine Ermessensentscheidung erfordere, bei der sich die Ausländerbehörde auch mit einer substantiiert vorgetragenen Gefahr von Nachteilen im Herkunftsstaat unterhalb der Schwelle der im Asylverfahren zu prüfenden Nachteile auseinandersetzen müsse. Zwar könnten zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote namentlich nach § 60 Abs. 2, 5 oder 7 AufenthG von der Ausländerbehörde nicht berücksichtigt werden, weil dafür gemäß § 6 S. 1 und § 42 S. 1 AsylG nur das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig sei, sonstige zielstaatsbezogene Nachteile hingegen seien in die Ermessensentscheidung einzustellen. Dies betreffe etwa, wie im entschiedenen Verfahren, die Gefahr einer Doppelbestrafung im Herkunftsland.
Durch eine Missachtung der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Gerichts in Asylverfahren, den Verfahrensbeteiligten Erkenntnismittel vor ihrer Verwertung zur Kenntnis zur bringen, könne das Recht auf rechtliches Gehör verletzt werden, so das Oberverwaltungsgericht Magdeburg in seinem Beschluss vom 29. November 2021 (Az. 2 L 54/20.Z). Im entschiedenen Verfahren hatte das Verwaltungsgericht seine Entscheidung, dass die Kläger innerhalb der Russischen Föderation eine zumutbare innerstaatliche Schutzalternative in Anspruch nehmen könnten, auf Erkenntnismittel gestützt, zu denen sich die Kläger mangels Einführung in das Verfahren nicht äußern konnten. Das OVG wies den Antrag auf Zulassung der Berufung gleichwohl zurück, weil die Kläger nicht ausreichend dazu vorgetragen hatten, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gerade auf diesem Verfahrensfehler beruhte: Für eine erfolgreiche Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs wegen nicht ordnungsgemäß eingeführter Erkenntnismittel müsse der Rechtsmittelführer diese Erkenntnismittel (so sie ihm nicht ohne weiteres zugänglich sind) innerhalb der Rechtsmittelfrist anfordern, überprüfen und dann im Einzelnen darlegen, was er zu den darin enthaltenen Feststellungen ausgeführt hätte, dabei müsse er auf den konkreten Inhalt der einzelnen verfahrensfehlerhaft nicht eingeführten Erkenntnismittel eingehen.
Das Oberverwaltungsgericht Münster hält in seinem Beschluss vom 13. Dezember 2021 (Az. 19 A 3641/20.A) die Frage nach den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die gesundheitliche Versorgung und die wirtschaftliche Lage in Äthiopien nicht für grundsätzlich klärungsbedürftig. Stütze der Kläger eine Grundsatzrüge auf die Klärungsbedürftigkeit einer verallgemeinernd formulierten Tatsachenfrage, erfordere die Darlegung dieser Klärungsbedürftigkeit die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen auch einer anderen als der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Würdigung zugänglich seien. Daran fehle es hier, weil der Kläger lediglich pauschal vorgetragen habe.
Ein Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sei zugestellt, wenn dem Betroffenen eine mit dem Original übereinstimmende Kopie des Bescheides tatsächlich zugegangen sei, so das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 9. Dezember 2021 (Az. 2 B 6/20). Dabei komme es nicht darauf an, so das OVG, dass nach § 31 Abs. 1 Satz 3 AsylG die Zustellung des Bescheids vorgeschrieben sei, weil die Heilungsvorschrift des § 8 Verwaltungszustellungsgesetz nach ihrer systematischen Stellung sowie nach ihrem Sinn und Zweck jede Form der (gescheiterten) Zustellung erfasse.
Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat in seinem Urteil vom 23. September 2021 (Az. 11 S 1966/19) festgehalten, dass bei der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25a Abs. 2 S. 1 AufenthG zwar grundsätzlich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz abzustellen sei, etwas anderes aber in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal der Minderjährigkeit der Bezugsperson gelte, wenn der Ausländer den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vor Vollendung des 18. Lebensjahrs der Bezugsperson gestellt hat, diese aber zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz bereits volljährig ist. In diesem Fall sei darauf abzustellen, ob sämtliche Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 2 Satz 1 AufenthG unmittelbar vor Vollendung des 18. Lebensjahrs der Bezugsperson vorlagen; kann hiervon ausgegangen werden, stehe der Umstand, dass die Bezugsperson nicht mehr minderjährig ist, der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht entgegen.
Erfüllt ein Ausländer die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 25a AufenthG und legt er einen gültigen Pass vor, widerspreche es dem Zweck der Regelung über die Legalisierung des Aufenthalts gut integrierter Jugendlicher und Heranwachsender, die Duldung wegen des Wegfalls der Passlosigkeit zu widerrufen und den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG wegen des Widerrufs der Duldung abzulehnen, so das Oberverwaltungsgericht Magdeburg in seinem Beschluss vom 22. Dezember 2021 (Az. 2 M 113/21). Im entschiedenen Verfahren habe die Ausländerbehörde zwar eine wegen Passlosigkeit erteilte Duldung widerrufen, im Beschwerdeverfahren dann jedoch zugesichert, bis zum rechtskräftigen Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zur Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25a AufenthG keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu vollziehen. Dabei handele es sich der Sache nach um eine Verfahrensduldung, so das Gericht, auf die der Ausländer ohnehin einen Anspruch hätte.
Einem minderjährigen Ausländer könne das Verhalten seiner Eltern bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG auch bei der Entscheidung über ein Absehen von den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG nicht zugerechnet werden, so das Oberverwaltungsgericht Magdeburg in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2021 (Az. 2 M 111/21), dies ergebe sich letztlich aus § 25a Abs. 1 S. 3 AufenthG.
Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg hat mit Beschluss vom 14. Dezember 2021 (Az. 2 M 117/21) zur Anwendung von § 25a AufenthG festgehalten, dass von der gemäß § 25a Abs. 1 Satz 2 AufenthG nach einem Schulabschluss grundsätzlich anwendbaren allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG regelmäßig für eine angemessene Zeit zur Suche nach einem Ausbildungs- bzw. Arbeitsplatz abzusehen sei. Außerdem entschied das OVG, dass dann, wenn alle notwendigen und zumutbaren Schritte zur Passbeschaffung unternommen wurden und der Zeitpunkt der Ausstellung des Passes nur noch von der Dauer des Verfahrens bei der Botschaft abhänge, der Nichterfüllung der Passpflicht im Rahmen des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nur noch geringes Gewicht beizumessen sei.
In seinem Beschluss vom 6. Dezember 2021 (Az. 3 B 777/21) hält der Verwaltungsgerichtshof Kassel fest, dass die Erteilung einer Duldung gemäß § 60b AufenthG für Personen mit ungeklärter Identität nicht die Erteilung einer (regulären) Duldung aus anderen Anspruchsgrundlagen, etwa nach § 60a Abs. 2 AufenthG, sperre. Lägen die Voraussetzungen für die Erteilung einer regulären Duldung vor, so fehle es an der Kausalität zwischen dem Verhalten des betroffenen Ausländers und dem in § 60b Abs. 1 AufenthG erwähnten Abschiebungshindernis. Die Anwendungshinweise des BMI zu § 60b AufenthG, die dies anders sähen, seien zu weitgehend und mit dem Wortlaut des § 60b AufenthG nicht vereinbar.
Ein Widerruf einer Duldung nach § 60a Abs. 5 Satz 2 AufenthG sei ausgeschlossen, wenn ein anderer Duldungsgrund vorliege, so das Oberverwaltungsgericht Magdeburg in seinem Beschluss vom 22. Dezember 2021 (Az. 2 M 114/21). Dies könne, wie im entschiedenen Verfahren, etwa dann der Fall sein, wenn ein zunächst bestehendes Abschiebungshindernis aus tatsächlichen Gründen entfallen sei, z.B. nach Vorlage eines Reisepasses, dann aber eine Verfahrungsduldung zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG zu erteilen wäre.
Das Oberverwaltungsgericht Magdeburg hält in seinem Beschluss vom 22. November 2021 (Az. 2 M 124/21) fest, dass es bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung grundsätzlich nicht darauf ankomme, ob der Ausländer voraussichtlich einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe, sondern nur darauf, ob er (vollziehbar) ausreisepflichtig sei. Das Vorliegen von Abschiebungsverboten und von Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung stehe nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem Erlass einer Abschiebungsandrohung nicht entgegen, mache diese also nicht rechtswidrig. Eine andere Beurteilung komme nur dann in Betracht, wenn hinreichend sicher sei, dass auf unabsehbare Zeit ein Abschiebungshindernis bestehen werde.
Das Oberverwaltungsgericht Bremen hat am 15. Dezember 2021 in ausführlicher Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 8 EMRK in zwei Verfahren (2 LC 269/21 und 2 LB 379/21) über die Ausweisung straffällig gewordener Ausländer entschieden, die als faktische Inländer in Deutschland leben. Dabei wendete das OVG in beiden Verfahren den Begriff des „sehr gewichtigen“ Ausweisungsgrunds an, der nicht identisch mit dem Begriff des „besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses“ nach § 54 Abs. 1 AufenthG sei, sondern praktisch autonom ausgelegt und angewendet werden müsse, wobei es auf Schwere und Anzahl der begangenen Straftaten sowie auf die Gefahr der zukünftigen Begehung ähnlich schwerwiegender bzw. ähnlich häufiger Straftaten ankäme. Nach diesem Maßstab hielt das OVG die Ausweisung in einem der entschiedenen Verfahren (Az. 2 LB 379/21), in dem zahlreiche Diebstähle in einem besonders schweren Fall sowie Betrugsstraftaten begangen worden waren, für rechtmäßig, während es die Ausweisung in dem anderen Verfahren (Az. 2 LC 269/21), in dem es um zahlreiche Fälle von Ladendiebstahl ging, für rechtswidrig erachtete.
Maßgeblich für die Feststellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft sei der bei beiden Eheleuten bestehende Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet tatsächlich herzustellen oder aufrechtzuerhalten, so das Oberverwaltungsgericht Saarlouis in seinem Beschluss vom 21. Dezember 2021 (Az. 2 B 257/21, 2 D 258/21), die Beweislast für das Bestehen dieses Herstellungswillens als einer inneren Tatsache trage der Ausländer. Dabei beginne die Mindestbestandszeit der ehelichen Lebensgemeinschaft bei einer Wiederbegründung der Lebensgemeinschaft nach einer aus der Sicht zumindest eines Ehegatten endgültigen und dauerhaften Trennung erneut zu laufen, so dass eine Addition oder Stückelung aus mehreren Teilzeiten vor und nach einer derartigen Trennung nicht zulässig sei.