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Ausgabe 3 • 9.7.2021

Pushbacks, Pushbacks, Pushbacks

Gleich drei der in dieser Ausgabe enthaltenen Entscheidungen beschäftigen sich mit illegalen Pushbacks an verschiedenen europäischen Grenzen. Ansonsten geht es zweimal um die Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland, zweimal um das menschenwürdige Existenzminimum, um eine Befangenheit und um die rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

EGMR verurteilt Polen wegen Pushbacks an polnisch-weißrussischer Grenze

In seinem Urteil vom 8.7.2021 (Az. 51246/17, D.A. u.a. gg. Polen) hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Polen wegen eines Verstoßes gegen das Refoulement-Verbot (Art. 3 EMRK) und das Verbot der Kollektivausweisung aus Art. 4 Protokoll Nr. 4 zur EMRK verurteilt; außerdem habe Polen gegen Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde) verstoßen. Dem Verfahren lag die Praxis polnischer Grenzbehörden zu Grunde, Asylsuchende an der polnisch-weißrussischen Grenze ohne echte Prüfung ihres Schutzersuchens zurückzuweisen; damit, so der Gerichtshof, habe Polen auch die Gefahr einer Kettenabschiebung bis ins Herkunftsland in Kauf genommen.

EGMR verurteilt Ungarn wegen Pushbacks an ungarisch-serbischer Grenze

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinem Urteil vom 8.7.2021 (Az. 12625/17, Shahzad gg. Ungarn) Ungarn wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Kollektivausweisung aus Art. 4 Protokoll Nr. 4 zur EMRK verurteilt; außerdem habe Ungarn gegen Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde) verstoßen. Das Verfahren betraf die Praxis ungarischer Behörden, an der ungarisch-serbischen Grenze um Schutz nachsuchenden Menschen keinen Zugang zu einem Asylverfahren zu ermöglichen, sondern sie summarisch abzuweisen. Siehe zu dieser Entscheidung auch das Statement des ungarischen Helsinki-Komitees.

Gericht: Rechtswidrige Pushbacks an der österreichisch-slowenischen Grenze

Nach einem Bericht im österreichischen Standard hat das Landesverwaltungsgericht Steiermark in einem Urteil vom 5.7.2021 die Zurückweisung von Asylsuchenden an der österreichisch-slowenischen Grenze als rechtswidrig erachtet. Nach Ansicht des Gerichts fänden solche rechtswidrige Zurückweisungen, durch die den Betroffenen das Recht auf Einleitung eines Asylverfahrens in Österreich verwehrt würde, methodisch statt.

Verfassungsbeschwerde gegen Asylbewerberleistungsgesetz erfolglos

Mit Beschluss vom 12.5.2021 (Az. 1 BvR 2682/17) hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, in der die Verfassungswidrigkeit von § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F. gerügt wurde. Die Vorschrift beschränkte Leistungen nach dem Gesetz in den Fällen, in denen aus von Leistungsberechtigten zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, das BVerfG hielt sie für noch verfassungsmäßig, weil sie eine bedarfsorientierte Ermittlung des menschenwürdigen Existenzminimums im Einzelfall vorsehe, das, so das Gericht, jedenfalls aber auch ein soziokulturelles Existenzminimum zwingend beinhalte. Siehe zu dieser Entscheidung auch die Kommentierung auf Twitter.

Keine Tätigkeit für eine terroristische Vereinigung zur Sicherung des Existenzminimums

Das Oberverwaltungsgericht Münster musste in seinem Beschluss vom 30.6.2021 (Az. 1 A 1623/20.A) ausführen, dass bei Prüfung eines Abschiebungsverbots nicht auf eine Tätigkeit für eine terroristische Vereinigung als potentielle Erwerbsmöglichkeit zur Sicherung des Existenzminimums abzustellen sei und dass diese Frage auch keine grundsätzliche Bedeutung habe. Man fragt sich ja gelegentlich schon, mit welchen vermeintlich bedeutsamen Fragen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen angegriffen werden.

Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde zur Besorgnis der Befangenheit in einem Asylverfahren

Mit Beschluss vom 1. Juli 2021 (Az. 2 BvR 890/20) hat das Bundesverfassungsgericht einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die in einem asylrechtlichen Verfahren gegen die Ablehnung eines Ablehnungsgesuchs wegen Besorgnis der Befangenheit des Richters erhoben worden war. Der abgelehnte Richter hatte in einem Urteil in einem anderen von ihm entschiedenen Verfahren, in dem es um Wahlplakate der NPD ging, „allgemeine und sehr weit gehende“ Ausführungen zum Thema Migration gemacht, unter anderen in Bezug auf die Wendung „Migration tötet“, was aus Sicht des BVerfG die Schlussfolgerung zuließ, der Richter hielte „Migration für ein grundlegendes, die Zukunft unseres Gemeinwesens bedrohendes Übel“. Siehe zu dieser Entscheidung auch die Pressemitteilung des BVerfG vom 9. Juli 2021.

Rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und ein möglicherweise gefälschter Reisepass

Mit Beschluss vom 24.6.2021 (Az. OVG 3 N 77.19) hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im Fall eines syrischen Flüchtlings entschieden, dass der Flüchtling ein schutzwürdiges Interesse an der rückwirkender Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe und dass der Verdacht des Besitzes eines gefälschten Reisepasses nicht zur Aussetzung des Erteilungsverfahrens nach § 79 Abs. 2 AufenthG führe. Es beließ damit das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin v. 8.1.2019 (Az. VG 24 K 1036.17) in Kraft, gegen das sich das beklagte Land Berlin gewandt hatte.

Eigenanteile für anerkannte Flüchtlinge in Berliner Sammelunterkünften rechtswidrig

Eine Twitter-Meldung berichtet über eine Entscheidung des Sozialgerichts Berlin vom 2.7.2021 (Az S 146 AY 163/20), wonach die Praxis des Berliner Landesamts für Flüchtlinge, anerkannten Flüchtlingen für die Unterbringung in Sammelunterkünften finanzielle Eigenanteile in Rechnung zu stellen, rechtswidrig sei. Die Berliner Verwaltung praktizierte bislang eine „Übergangslösung“ zur Kostenabgeltung, die sich privatrechtlicher Handlungsformen (Schuldanerkenntnisse, Abtretungserklärungen, Rechnungen) bediente, wohl weil keine öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlage vorhanden war (aka Flucht in das Privatrecht).

Hausordnung der LEA Freiburg bleibt in Kraft

In einer Pressemitteilung berichtet der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim über seinen Beschluss vom 28.6.2021 (Az. 12 S 921/21), mit dem der VGH es ablehnte, die Hausordnung der Landeserstaufnahmeeinrichtung Freiburg aufgrund eines Eilantrags in einem Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO, das vermutlich auf ein Rechtsgutachten von Juni 2020 zurückgeht, einstweilig außer Kraft zu setzen. Es sei zwar offen, ob eine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage vorhanden sei, die Regelungen der Hausordnung seien aber vermutlich verhältnismäßig ausgestaltet; außerdem erscheine es möglich, dass der Gesetzgeber auf die Bedenken des VGH reagieren werde.