Ausgabe 46 • 20.5.2022

Inhaltliche Begründung

Enthält ein positiver Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge keine inhaltliche Begründung, so kann man auch nicht wissen, warum das Bundesamt positiv entschieden hat, und ob das etwa mit einer gegen den ursprünglichen Bescheid erhobenen Verfassungsbeschwerde zusammenhängt. Das meint jedenfalls das Bundesverfassungsgericht, das die Erstattung von Auslagen in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren mit dieser Begründung ablehnte. Außerdem in dieser Ausgabe des HRRF-Newsletters Entscheidungen zu Dublin- und Drittstaaten-Überstellungen nach Griechenland, Italien und Spanien, zwei weitere Verfassungsbeschwerden, Wehrdienstentziehung in Syrien, Durchsuchungsanordnungen nach § 58 AufenthG und zum Unterschied zwischen einer Berufung und einem Berufungszulassungsantrag.

Keine Flüchtlingsanerkennung nach Wehrdienstentziehung in Syrien

Die Militärdienstverweigerung bzw. der alleinige Entzug vor der Wehrpflicht in Syrien rechtfertige nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, so das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in seinem Beschluss vom 11. Mai 2022 (Az. 2 LB 52/22). Wehr- bzw. Reservedienst in der syrischen Armee würde keine Verbrechen oder Handlungen umfassen, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG fielen, außerdem fehle es an der erforderlichen Verknüpfung der Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes mit einem Verfolgungsgrund.

Zusicherung vor Dublin-Überstellung vulnerabler Schutzsuchender nach Italien

Mit Beschluss vom 11. Mai 2022 (Az. 10 LA 46/22) hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg in einem asylrechtlichen Verfahren die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. In dem Verfahren geht es um die Frage, ob vulnerablen Antragstellern wie Familien mit Kindern, bei denen Italien für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig sei, bei Überstellung nach Italien ohne Vorliegen einer individuellen Garantieerklärung eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC drohe. Diese Frage sei in der Rechtsprechung des OVG unter Auswertung aktueller Erkenntnismittel noch nicht geklärt.

Keine Dublin-Überstellung von vulnerablen Personen nach Spanien

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat mit Gerichtsbescheid vom 1. April 2022 entschieden, dass eine alleinerziehende Mutter und ihre zwei minderjährigen Töchter nicht im Rahmen einer Dublin-Überstellung nach Spanien abgeschoben werden dürfen. Es gebe wesentliche Gründe für die Annahme, dass den Klägerinnen nach einer Überstellung nach Spanien eine menschenrechtswidrige Behandlung drohe, weil Asylverfahren und Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Spanien systemische Schwachstellen aufweisen würden. Die Klägerinnen seien vulnerable Personen, denen in Spanien Obdachlosigkeit drohe, außerdem hätten sie dort voraussichtlich keinen Zugang zu Sozialleistungen.

Spanien für vulnerable Personen kein sicherer Drittstaat

Mit Beschluss vom 29. April 2022 (Az. 4 L 291/22.A) hat das Verwaltungsgericht Aachen entschieden, dass eine Familie mit Kleinkind, der in Spanien internationaler Schutz zuerkannt wurde, nicht dorthin abgeschoben werden darf. Die Familie würde bei einer Abschiebung, so das Gericht, wahrscheinlich in eine menschenrechtswidrige Situation geraten, weil nicht zeitnah eine Unterkunft zur Verfügung stünde. Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel ließen eine Gleichgültigkeit der spanischen Behörden gegenüber den Antragstellern erwarten.

Griechenland kein sicherer Drittstaat

In einem auf 44 Seiten ausführlich begründeten Urteil vom 27. April 2022 (Az. 5 A 492/21.A) hat das Oberverwaltungsgericht Bautzen festgehalten, dass in Griechenland anerkannte Schutzberechtigte, die alleinstehend, gesund und arbeitsfähig sind, in Griechenland mit ernsthafter Wahrscheinlichkeit über einen absehbaren Zeitraum obdachlos sein werden und grundsätzlich zu befürchten ist, dass sie bei einer Rückkehr nach Griechenland nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen. Das OVG hat die Ablehnung des Asylantrags des Klägers als unzulässig dementsprechend aufgehoben.

Kein Antrag auf Zulassung der Berufung durch bloße Berufung

Eine Auslegung oder Umdeutung der von einem Rechtsanwalt gefertigten Rechtsmittelschrift als Zulassungsantrag gemäß § 78 Abs. 4 AsylG ist bei der ausdrücklichen Bezeichnung des Rechtsmittels als „Berufung“ und mangels jeglichen Anhalts für einen davon abweichenden Willen nicht möglich, so der Verwaltungsgerichtshof München in seinem Beschluss vom 27. April 2022 (Az. 10 B 21.31403). Erst ein erfolgreicher Antrag auf Zulassung der Berufung eröffne die prozessrechtliche Möglichkeit, die Berufung als nunmehr statthaftes Rechtsmittel einzulegen, so dass eine unzulässige Berufung nicht in einen fristwahrenden Antrag auf Zulassung der Berufung umgedeutet werden könne.

Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für Durchsuchungsanordnungen nach § 58 AufenthG

Für richterliche Durchsuchungsanordnungen nach § 58 AufenthG ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO eröffnet, so das Oberverwaltungsgericht Schleswig in seinem Beschluss vom 16. Mai 2022 (Az. 2 W 8/22). Es handele sich nicht um einen Sachverhalt, der zumindest auch nach dem Landesrecht zu würdigen sei, wie es § 40 Abs. 1 S. 2 VwGO erfordere, vielmehr seien Durchsuchungsanordnungen zum Zwecke der Abschiebung in § 58 AufenthG durch eine spezialgesetzliche Bundesnorm geregelt. Mit § 58 Abs. 10 AufenthG habe der Bundesgesetzgeber auch keine neben der allgemeinen Regelung des § 40 Abs. 1 VwGO gleichrangige eigenständige Zuständigkeitsregelung geschaffen, mit der es im Sinne einer Öffnungsklausel den Ländern jedenfalls ermöglicht werde, bereits bestehende Rechtswegregelungen für Wohnungsdurchsuchungen auf die Durchsuchung nach § 58 Abs. 6 bis 9 AufenthG zu erstrecken.

Verfassungsbeschwerde gegen Asylbewerberleistungsgesetz gescheitert

Mit Beschluss vom 12. Februar 2022 (Az. 1 BvR 1576/20) hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, in der der Beschwerdeführer die Versagung von sozialgerichtlichem Eilrechtsschutz in Hinblick auf die Gewährung von höheren Leistungen als nach Regelbedarfsstufe 2 gerügt hatte. Das BVerfG verwies den Beschwerdeführer auf das am Sozialgericht noch anhängige Hauptsacheverfahren, weil er der Leistungsbewilligung nur für einen Monat widersprochen habe, und er nicht dargelegt habe, dass ihm bei Abwarten der Entscheidung im Hauptsacheverfahren ein schwerer und unabwendbarer Nachteil drohe. Kritik am Sozialgericht gibt es allerdings auch, das verkannt habe, dass der Beschwerdeführer einen Leistungsanspruch nicht unmittelbar auf die Verfassung stütze, sondern vielmehr im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die grundrechtlichen Belange in die summarische Prüfung und in eine Güter- und Folgenabwägung eingestellt wissen wollte.

(Keine) Auslagenerstattung nach erledigter Verfassungsbeschwerde

Erledigt sich eine Verfassungsbeschwerde, weil die zuständige Behörde den angegriffenen Verwaltungsakt während des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht aufhebt, hängt die Anordnung der Auslagenerstattung zugunsten des Beschwerdeführers davon ab, aus welchem Grund und mit welcher Motivation die Behörde gehandelt hat, so das BVerfG in seinem Beschluss vom 25. April 2022 (Az. 2 BvR 2255/21). Eine Auslagenerstattung komme in Anwendung von § 34a Abs. 3 BVerfGG in Betracht, wenn die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abhilft, weil in diesem Fall davon ausgegangen werden kann, dass sie deren Begehren selbst für berechtigt erachtet hat. Im entschiedenen Verfahren war dies nicht aufzuklären, weil der Beschwerdeführer selbst keine Angaben gemacht hatte und der für ihn positive Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, in dem ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, keine inhaltliche Begründung enthielt, so dass das BVerfG die Anordnung der Auslagenerstattung ablehnte.

Gegenstandswert bei aufenthaltsrechtlicher Verfassungsbeschwerde

Mit Beschluss vom 26. April 2022 (Az. 2 BvR 1432/21) hat das Bundesverfassungsgericht in einem Verfassungsbeschwerdeverfahren einen Gegenstandswert von 10.000 Euro festgesetzt und zur Rechtfertigung der Überschreitung des Mindestgegenstandswerts von 5.000 Euro ausgeführt, dass das Verfahren in Zusammenhang mit der drohenden Abschiebung des Beschwerdeführers stand, die ihn für ungewisse Dauer von seinen Kindern getrennt und eine erhebliche Grundrechtsverletzung bedeutet hätte. Das Verfahren hätte außerdem einen erhöhten Grad an Komplexität aufgewiesen und habe über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung, da es dem Gericht Anlass gegeben habe, die Maßstäbe zu spezifizieren, nach denen die Trennung eines Elternteils von seinen Kindern zur Durchführung eines Visumverfahrens verfassungsrechtlich zulässig sei.

ISSN 2943-2871