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Ausgabe 69 • 28.10.2022

Parlamentarische Öffentlichkeit

Eine mäßig ereignisreiche Woche bringt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung einer Beteiligung der Öffentlichkeit an der Diskussion des Europäischen Flüchtlingsschutzes sowie zwei Entscheidungen zu den Grenzen einer Bindung Deutschlands an ausländische Flüchtlingsanerkennungen.

Keine Geheimniskrämerei beim Europäischen Flüchtlingsschutz

In dem Urteil vom 26. Oktober 2022 (Az. 2 BvE 3/15, 2 BvE 7/15), in dem das Bundesverfassungsgericht über eine Klage der Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken gegen die Bundesregierung entschieden hat, ging es primär zwar um eine mögliche Verletzung der Mitwirkungsrechte des Bundestags durch eine unzureichende Informationspolitik der Bundesregierung, inhaltlich aber maßgeblich um einen Konzeptentwurf für die inzwischen ausgelaufene EU-Operation Sophia gegen Schleuser im Mittelmeer sowie ein Schreiben des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu an Kanzlerin Angela Merkel zum EU/Türkei-Gipfel Ende November 2015. Das BVerfG entschied in seinem Urteil, dass die klagenden Fraktionen unter Verletzung von Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG nicht umfassend und frühestmöglich informiert worden seien und dass die Bundesregierung nicht nachvollziehbar dargelegt habe, dass das Schreiben des türkischen Ministerpräsidenten nicht der Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 S. 2 GG unterfalle.

Mitzunehmen ist aus dem Urteil wohl vor allem der dritte Leitsatz, wonach eine Information der Abgeordneten des Bundestags, die Geheimschutzregelungen unterliegt, den Anforderungen von Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG grundsätzlich nicht gerecht werde, weil die Information des Parlaments zugleich dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit diene: Im europäischen Kontext stärke die für die Öffentlichkeit nachvollziehbare parlamentarische Willensbildung gleichzeitig die Responsivität von europäischen Entscheidungen im Hinblick auf Interessen und Überzeugungen von Bürgerinnen und Bürgern, erst die Öffentlichkeit der Beratung schaffe die Voraussetzungen für eine Kontrolle durch diese.

Keine Bindungswirkung der Gewährung internationalen Schutzes in anderem EU-Staat

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf meint in seinem Urteil vom 11. Oktober 2022 (Az. 17 K 4350/20.A), dass ein Antragsteller aus der Anerkennung als Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union keinen Anspruch auf Zuerkennung des entsprechenden Schutzstatus durch die Bundesrepublik Deutschland herleiten kann. Im Ausland anerkannte Flüchtlinge genießen lediglich den gleichen Abschiebungsschutz wie die im Inland anerkannten, ohne dass ein erneutes Anerkennungsverfahren durchgeführt wird, es bestehe aber gerade kein Anspruch auf eine neuerliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf Feststellung subsidiären Schutzes (§ 60 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 AufenthG) oder eine hieran anknüpfende Erteilung eines Aufenthaltstitels in Deutschland.

Schutzgewährung durch anderen EU-Staat nicht hinreichend für Familienschutz in Deutschland

§ 26 AsylG setze voraus, dass dem Stammberechtigten der internationale Schutz durch die Bundesrepublik Deutschland gewährt wurde, während die Schutzgewährung durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union dafür nicht hinreichend sei, sagt das Verwaltungsgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 11. Oktober 2022 (Az. 17 K 6760/20.A). Durch § 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG ordne das deutsche Recht eine auf den Abschiebungsschutz begrenzte Bindungswirkung der ausländischen Flüchtlingsanerkennung an, es bestehe aber gerade kein Anspruch auf eine neuerliche Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder auf Feststellung subsidiären Schutzes. Wenn aber schon keine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland bestehe, die Statusentscheidung eines anderen Staates nachzuvollziehen, so gebe es erst recht keine Verpflichtung, den Familienangehörigen der Ausländer, die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge anerkannt worden sind, einen internationalen Schutzstatus zu gewähren.

Vermischtes vom BVerwG

In seinem Beschluss vom 11. Oktober 2022 (Az. 1 C 29.22) hat das Bundesverwaltungsgericht ein anhängiges Revisionsverfahren eingestellt, weil die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Die Kosten des Verfahrens seien vom beklagten Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu tragen, da es den Revisionskläger klaglos gestellt habe. In dem Verfahren, das erstinstanzlich durch Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. Juli 2020 (Az. 22 K 8762/18.A) entschieden worden war, ging es um einen Dublin-Bescheid, in dem eine Überstellung nach Polen angeordnet wurde. Das Verwaltungsgericht hatte noch angenommen, dass eine Verlängerungsentscheidung wegen Flüchtigkeit der betreffenden Person nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO auch dann wirksam sei, wenn das Bundesamt die Entscheidung mit dem Aufenthalt des Antragstellers im Kirchenasyl begründet habe, die Kenntnis der nationalen Behörden vom Aufenthalt des Antragsstellers in einem örtlich nicht näher bekannten Kirchenasyl stehe einer Verlängerungsentscheidung wegen Flüchtigkeit nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO nicht entgegen. Außerdem hätte die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO durch eine behördliche Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung wegen Überstellungshindernissen infolge der Covid-19-Pandemie unterbrochen werden können. Sowohl zur Flüchtlingkeit im (offenen) Kirchenasyl als auch zu Überstellungshindernissen infolge der Covid-Pandemie hat die neuere höchstgerichtliche Rechtsprechung das VG Düsseldorf überholt, nämlich das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 26. Januar 2021 (Az. 1 C 42.20) und der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 22. September 2022 (Rs. C-245/21 und C-248/21).