Der Europäische Gerichtshof hat in seinem in einem Eilverfahren ergangenen Urteil vom 18. April 2023 (Rs. C-1/23 PPU) entschieden, dass die EU-Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EG eine nationale Regelung verbietet, die für die Einreichung eines Antrags auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung ohne Ausnahme verlangt, dass die Antragstellenden sich persönlich zu der für sie zuständigen diplomatischen oder konsularischen Vertretung eines Mitgliedstaats begeben müssen. In einer Situation, in der es den Antragstellenden unmöglich oder übermäßig schwer falle, diese Vertretung aufzusuchen, etwa bei geschlossenen Grenzen oder wenn eine Frontlinie in einem Krieg oder bewaffneten Konflikt überquert werden müsse, würde eine solche ausnahmslose Verpflichtung ihnen jede Möglichkeit nehmen, einen Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen, und damit die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen. Es sei Mitgliedstaaten unbenommen, das persönliche Erscheinen der Antragstellenden in einem späteren Stadium des Verfahrens zur Beantragung der Familienzusammenführung zu verlangen.
Allein wegen einer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und zum schiitisch-muslimischen Glauben besteht im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung, sagt der Verwaltungsgerichtshof Mannheim in seinem Urteil vom 28. März 2023 (Az. A 11 S 3477/21). Außerdem lasse sich für einen Rückkehrer nach Afghanistan ohne Unterhaltsverpflichtungen, für den keine Kosten der Unterkunft in die Berechnung einzustellen seien und der über ein Barvermögen von ca. 4.000 EUR verfüge, keine alsbald nach der Abschiebung nach Afghanistan eintretende Verelendung begründen.
Das Verwaltungsgericht München geht in seinem Beschluss vom 30. März 2023 (Az. M 19 S 23.50135) davon aus, dass ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das litauische Asylsystem seit den Asylrechtsverschärfungen im Sommer 2021 mit systemischen Mängeln behaftet ist, insbesondere im Unterbringungsbereich. Es gebe keine aktuellen Erkenntnisse dazu, dass Litauen mittlerweile nachhaltig auf die Kritik reagiert und Gegenmaßnahmen ergriffen habe, vielmehr sei der in Folge der Migrationskrise ausgerufene Ausnahmezustand weiter verlängert worden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 14. März 2023 (Az. 11 A 298/23.A), in dem in erster Linie auf die Problematik illegaler Pushbacks eingegangen werde.
Wird ein deutsches Kind, zu dem der Elternnachzug im Wege der Familienzusammenführung beantragt wurde, während des Visumsverfahrens der Eltern volljährig, entfällt der Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, meint das Verwaltungsgericht Berlin in seinem Urteil vom 22. März 2023 (Az. 21 K 134/22 V). Anders als beim Kindernachzug nach § 32 AufenthG reiche eine Antragstellung der Eltern vor Erreichen der Volljährigkeit des Kindes nicht aus, um den Anspruch zu erhalten, sondern müsse die Minderjährigkeit noch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorliegen. Aus der EU-Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EG ergebe sich ebenfalls nichts anderes. Den Betroffenen stehe stattdessen grundsätzlich die Möglichkeit offen, ihr Nachzugsbegehren während der Minderjährigkeit des Kindes mithilfe einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO rechtzeitig vor Erreichen der Volljährigkeit durchzusetzen.
In seinem Beschluss vom 28. Februar 2023 (Az. XIII ZB 68/21) hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass das Beschleunigungsgebot bei Anordnung und Fortdauer von Abschiebungshaft nicht schon dann verletzt ist, wenn einer der für die Vorbereitung einer Abschiebung erforderlichen zahlreichen Bearbeitungsschritte nicht sofort erfolgt. Es reiche im Hinblick auf den der Behörde zustehenden organisatorischen Spielraum aus, wenn die Vorbereitung der Abschiebung so vorangetrieben werde, dass es nicht zu unnötigen Verzögerungen komme. Angesichts der Vielzahl der von der beteiligten Behörde und den in Zusammenhang mit ihr tätigen Behörden zu betreibenden Vorgänge sei es nachvollziehbar, dass auch bei der gebotenen größtmöglichen Beschleunigung nicht alle Bearbeitungsschritte sofort durchgeführt werden könnten. Im Gegenteil sei zu erwarten, dass einzelne Bearbeitungsschritte je nach den Umständen teils mehr und teils weniger Zeit in Anspruch nehmen als hierfür im Durchschnitt erforderlich sei.
Abschiebungshaft über einen Zeitraum von 31 Monaten kann mit den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang stehen, sagt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 18. April 2023 (Az. 43966/19, N.M. gg. Belgien). In dem entschiedenen Verfahren, zu dem der EGMR auch eine Pressemitteilung veröffentlicht hat, war der Betroffene wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden und nach Verbüßung seiner Strafhaft wegen der von ihm ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Abschiebungshaft genommen worden. Die belgischen Behörden hätten das Verfahren hinreichend schnell betrieben, das unter anderem durch einen Asylantrag des Betroffenen und eine komplexe Vorbereitung der Abschiebung verzögert worden sei.
Das Bundesverwaltungsgericht hat den Volltext seiner Urteile vom 8. Dezember 2022 (Az. 1 C 56.20, 1 C 59.20, 1 C 8.21 und 1 C 31.21) veröffentlicht, in denen es um die Voraussetzungen für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten ging.