Der Verwaltungsgerichtshof München hält in seinem Urteil vom 4. März 2024 (Az. 24 B 22.30376) nichts davon, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Rückkehr als Familienverband auf Anerkannten-Fälle anzuwenden, d.h. auf solche Fälle, in denen in einem anderen EU-Mitgliedstaat Schutzberechtigte in Deutschland einen weiteren Asylantrag gestellt haben. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts finde nur bei der Prüfung von nationalen Abschiebungsverboten in den Herkunftsstaat Anwendung und sei weder auf die Prüfung nach Art. 4 GRCh i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG noch auf die Prüfung eines nationalen Abschiebeverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich eines schutzgewährenden EU-Mitgliedstaats zu übertragen. Daher seien in eine Gefahrenprognose in personeller Hinsicht grundsätzlich nur die Adressaten der Unzulässigkeitsentscheidung einzustellen, nicht aber deren Familienangehörige, denen in der Bundesrepublik ein Schutzstatus zuerkannt, zu deren Gunsten nationaler Abschiebungsschutz festgestellt oder deren Aufenthalt aus anderen Gründen derzeit erlaubt sei. In gleicher Weise sei die Prognose vorzunehmen, wenn anlässlich einer Unzulässigkeitsentscheidung das Vorliegen eines nationalen Abschiebeverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich des schutzgewährenden Mitgliedstaats geprüft werde.
Außerdem erfasse eine Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 3 der EU-Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG wegen Art. 6 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Rückführungsrichtlinie auch Abschiebungsandrohungen, die nach § 35 AsylG einen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zielstaat nennen würden. Entsprechend diene die Änderung des § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG durch das Rückführungsverbesserungsgesetz auch der Umsetzung der Rückführungsrichtlinie, so dass bei dessen Auslegung die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 5 Rückführungsrichtlinie zu beachten sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision in dem Verfahren gleich zweimal zugelassen: Zum einen als Tatsachenrevision gemäß § 78 Abs. 8 Satz 1 AsylG, weil er im Rahmen der Überprüfung der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in der Beurteilung der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Italien von deren Beurteilung durch das Oberverwaltungsgericht Münster (siehe dessen Urteil vom 20. Juli 2021, Az. 11 A 1674/20.A) abweicht. Zum anderen wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zwei Fragen, ob für die Prognose des Bestehens der ernsthaften Gefahr einer Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh im Rahmen einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG davon auszugehen sei, dass nur der oder die Adressaten einer Unzulässigkeitsentscheidung, nicht aber darüber hinaus die Rückkehr weiterer Mitglieder einer im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebenden Kernfamilie anzunehmen sei, und ob bei der Prüfung eines nationalen Abschiebungsverbots für die Prognose der bei einer Rückkehr drohenden Gefahren davon auszugehen sei, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie im Familienverband in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zurückkehren werde, obwohl diese Familienmitglieder über eine Aufenthaltserlaubnis für das Bundesgebiet verfügten.
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