Keine Bindung an Verzicht auf Durchführung eines Asylverfahrens

Der von den Eltern eines Kindes gemäß § 14a Abs. 3 AsylG ausgesprochene Verzicht auf die Durchführung eines Asylverfahrens für das Kind entfaltet für das Kind letztlich keinerlei Bindungswirkung, sagt das Verwaltungsgericht Kassel in seinem Urteil vom 6. November 2024 (Az. 1 K 599/21.KS.A), so dass für das Kind auf Antrag ein Folgeverfahren durchzuführen sei. Dem Kind könne ein etwaiges Verschulden der Eltern bei der Erklärung des Verzichts bereits nicht zugerechnet werden, weil § 71 Abs. 1 AsylG für die spätere Durchführung eines Folgeverfahrens für das Kind ausdrücklich auf ein eigenes Verschulden des Kindes abstelle. Im Unterschied zur alten Rechtslage vor Inkrafttreten des Rückführungsverbesserungsgesetzes, die noch vom Grundgedanken der Möglichkeit delegierter Interessenwahrnehmung ausging, sei der neue Wortlaut der Norm ersichtlich an den Wortlaut von Art. 40 Abs. 4 der EU-Asylverfahrensrichtlinie angelehnt. Die Norm müsse daher richtlinienkonform so ausgelegt werden, dass sie ein qualifiziertes Verschulden voraussetze, dessen Bedeutung nicht am deutschen Recht gemessen werden könne und das keine Zurechnung des Verhaltens der Eltern erlaube. Außerdem gebiete es Erwägungsgrund Nr. 33 dieser Richtlinie, das Wohl des Kindes zu berücksichtigen, das regelmäßig nicht zu eigenem Vortrag in der Lage sein werde. Die Prüfung des Asylantrag eines Kindes müsse darum von Amts wegen alle auf der Hand liegenden Umstände umfassen und dürfe nicht aufgrund der Erklärung eines Sorgeberechtigten hinsichtlich des Nichtvorliegens eigener Schutzgründe ohne weitere Amtsermittlung zur Präklusion jeglicher in diesem Zeitpunkt vorliegender Umstände führen.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Neueste Newsletter

  • Fortdauernde Flucht

    Ein allgemeiner Erfahrungssatz besagt, dass man zu jeder migrationsrechtlichen Frage Entscheidungen von mindestens zwei Gerichten finden kann, in denen zu dieser Frage gegensätzliche Rechtsauffassungen vertreten werden. Das Verwaltungsgericht Berlin probiert in dieser Woche aus, ob man das nicht auch innerhalb des Gerichts hinkriegt: Die 37. Kammer…

    Weiterlesen..

  • Contra mundum

    Es geht in dieser Woche um die vom französischen Asylgerichtshof angenommene Gruppenverfolgung von Palästinensern im Gazastreifen, um Gefahren in der Zentral- und Westukraine, die das Verwaltungsgericht Berlin für nicht beachtlich hält, und um mögliche Kampfeinsätze in der Ukraine als Gefahr für russische Wehrpflichtige, über die sich…

    Weiterlesen..

  • Schwierige Verhältnisse

    Die Rechtsprechung im Asyl- und Migrationsrecht wird gefühlt auch jede Woche politischer. Das liegt wohl weniger an den Gerichten als vielmehr an der neuen Bundesregierung, die mit juristisch zweifelhaftem Aktionismus aufwartet und aufwarten lässt. In dieser Woche geht es dementsprechend um Zurückweisungen, die vielleicht gar keine…

    Weiterlesen..

  • Fiktiver Aufenthalt

    Was tut die italienische Regierung mit einem leerstehenden Migrationszentrum in Albanien, in dem sie keine Schutzsuchenden unterbringen (d.h. inhaftieren) kann, weil die italienischen Gerichte Einwände haben? Sie widmet das Zentrum einfach in eine Abschiebungshaftanstalt um. Ärgerlich nur aus Sicht der Regierung, dass die italienischen Gerichte schon…

    Weiterlesen..

  • Restriktivere Handhabung

    Mal wieder eine Dublin-Woche im HRRF-Newsletter, in der darum geht, ob die Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils einem neuen Dublin-Bescheid im Wege steht (ja), ob Dublin-Überstellungsfristen durch gerichtlichen Eilrechtsschutz unterbrochen werden (man ist sich nicht einig) und ob Schutzberechtigten in Griechenland Menschenrechtsverletzungen drohen (man ist sich ebenfalls…

    Weiterlesen..

ISSN 2943-2871