Deutschland darf einem ausländischen Elternteil eines sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Kindes nicht allein deswegen ein Aufenthaltsrecht verweigern, weil das Kind nicht die deutsche Staatsangehörigkeit hat, sondern (nur) die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats, sagt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 1. August 2025 (Rs. C-397/23). Eine solche Diskriminierung verstoße gegen Art. 24 der EU-Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG, der eine Gleichbehandlung von Unionsbürgern mit den eigenen Staatsangehörigen vorsehe.
In dem Verfahren ging es vor allem um § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, wonach ausländische Elternteile eines deutschen (minderjährigen) Kindes einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis haben, während die Vorschrift auf ausländische Elternteile eines Kindes mit EU-Staatsangehörigkeit nicht anwendbar ist. Dadurch können Kinder mit (nur) einer EU-Staatsangehörigkeit nicht von der elterlichen Sorge ihres (ausländischen) Elternteils profitieren, während das bei deutschen Kindern der Fall wäre. Das Urteil wirft eine Reihe spannender Fragen auf, die hier nur gestreift werden können:
(1) Die vom Gerichtshof entschiedene Fallkonstellation dürfte nur dann relevant sein, wenn das Kind mit EU-Staatsangehörigkeit sein Aufenthaltsrecht in Deutschland von dem anderen Elternteil abgeleitet hat. Sofern das Kind selbst ein eigenständiges europarechtliches Aufenthaltsrecht hat, braucht es den Rückgriff auf Art. 24 der Freizügigkeitsrichtlinie wohl nicht.
(2) Der Gerichtshof hat auf § 11 Abs. 14 FreizügG/EU hingewiesen, der eine Art „Meistbegünstigung“ von Unionsbürgern vorsieht, falls das Aufenthaltsgesetz für (alle) Ausländer günstigere Regelungen als das FreizügG/EU (nur) für Unionsbürger vorsehen sollte: In diesem Fall soll die für die Unionsbürger günstigere Norm gelten. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift kann man hier annehmen, weil der Gerichtshof nicht auf eine Diskriminierung des Elternteils abstellt, sondern auf eine Diskriminierung des Kindes, das eine EU-Staatsangehörigkeit hat (siehe Rn. 46, 51 des Urteils). Es braucht also keine europarechtskonforme Auslegung von § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, weil bereits § 11 Abs. 14 FreizügG/EU die Besserstellung des ausländischen Kindes anordnet.
(3) Ausdrücklich entschieden hat der Gerichtshof nur die Situation eines ausländischen Elternteils, der selbst die Unionsbürgerschaft hat, d.h. Staatsangehöriger eines EU-Mitgliedstaats ist, gleichwohl dürfte das Urteil unabhängig von der Staatsangehörigkeit des ausländischen Elternteils gelten (müssen), d.h. auch für drittstaatsangehörige Elternteile, weil der Gerichtshof auf eine Diskriminierung des Kindes abstellt, nicht auf eine Diskriminierung des Elternteils, siehe oben.
(4) Zu den zahlreichen aus dem Urteil folgenden praxisrelevanten Fragen, nicht zuletzt im Hinblick auf die Gewährung sozialer Leistungen in Deutschland, sei auf die ausführliche Analyse der GGUA verwiesen.
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