Art. 104 Grundgesetz enthält sogenannte grundrechtsgleiche Rechte: Das sind Rechte, die zwar keine „echten“ Grundrechte sind, deren Verletzung man aber dennoch in einer Verfassungsbeschwerde rügen kann (siehe Art. 94 Abs. 1 Nr. 4a GG). Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG ordnet an, dass man nur auf Grundlage eines „förmlichen“ Gesetzes, d.h. einer gerade als „Gesetz“ verkündeten Rechtsnorm, festgenommen und inhaftiert werden darf. Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG regelt, dass über eine Freiheitsentziehung nur ein Richter zu entscheiden hat, also insbesondere keine Verwaltungsbehörde (sofern nicht die in Art. 104 Abs. 2 S. 2, 3 GG geregelten Ausnahmen einschlägig sind). Alles nicht so kompliziert, sollte man meinen. Tatsächlich aber nicht so einfach, musste das Bundesverfassungsgericht feststellen, das in drei Beschlüssen vom 4. (Az. 2 BvR 329/22 sowie 2 BvR 330/22) und 5. (Az. 2 BvR 1191/22) August 2025 Beschlüsse von Haftgerichten und Haftbeschwerdegerichten aufgehoben hat, weil sie gegen Art. 104 GG, gegen Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG (Recht auf Freiheit der Person) und zum Teil auch noch gegen Art. 19 Abs. 4 GG (Recht auf effektiven Rechtsschutz) verstoßen haben.
In einem der Verfahren (Az. 2 BvR 330/22) hatte eine Verwaltungsbehörde die vorläufige Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers auf Grundlage von Art. 8 und 9 der EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU in Verbindung mit Art. 15 der EU-Rückführungsrichtlinie 2018/115/EG angeordnet. Das könne nicht funktionieren, so das Bundesverfassungsgericht, weil Regelungen in EU-Richtlinien, die zwar an sich der Umsetzung in nationales Recht bedürften, in bestimmten Fällen auch unmittelbar angewendet werden könnten, eine solche unmittelbare Anwendung aber stets (!) nur zugunsten des Einzelnen und nie zugunsten des Staates in Frage komme. Außerdem hatten die Behörden die Inhaftierung der Betroffenen in allen drei Verfahren geplant und sie zur Vorführung vor den Haftrichter vorläufig festgenommen, ohne dafür eine vorherige (einstweilige) richterliche Haftanordnung zu erwirken: Auch dies sei verfassungswidrig gewesen, weil von der Ausländerbehörde konkret geplante Freiheitsentziehungen regelmäßig einer vorherigen richterlichen Anordnung bedürften. Vollzugsbeamte der Polizei, die von der Ausländerbehörde gebeten worden seien, einen Ausländer im Wege der Amtshilfe in Gewahrsam zu nehmen, könnten sich regelmäßig nicht mit Erfolg darauf berufen, dass zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung eine richterliche Anordnung nicht mehr rechtzeitig eingeholt werden könne.
Das Bundesverfassungsgericht hat zu den drei Beschlüssen am 28. Oktober 2025 auch eine ausführliche Pressemitteilung veröffentlicht.
Nun gut, es ist ja auch schon fast vier Wochen her, seit hier im Newsletter zum letzten Mal über verfassungswidrige Abschiebungshaft und einen entsprechenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts berichtet wurde. Im August wurde auch berichtet, im Mai diesen Jahres sogar zweimal (hier und hier).


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