Leistungseinschränkungen in Dublin-Fällen auf dem Prüfstand

Das Bundessozialgericht hat am 26. Juli 2024 in zwei Verfahren (Az. B 8 AY 6/23 R und B 8 AY 7/23 R) über die Auslegung von § 1a Abs. 7 AsylbLG entschieden, wonach Leistungen an Schutzsuchende nur noch sehr eingeschränkt gewährt werden, wenn ihre Asylanträge in Deutschland wegen der Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staats als unzulässig abgelehnt wurden.

Anders als das vorinstanzlich mit den beiden Verfahren befasste Bayerische Landessozialgericht geht das Bundessozialgericht davon aus, dass § 1a Abs. 7 AsylbLG keinen Sanktionscharakter hat, so dass der Tatbestand der Vorschrift nicht um das ungeschriebene Merkmal des Vorliegens einer wissentlichen Pflichtverletzung ergänzt werden muss. Stattdessen soll der Zweck der in der Vorschrift vorgesehenen Einschränkung des Leistungsniveaus in der unmittelbar bevorstehenden Überstellung in einen anderen Dublin-Staat liegen. Daraus folgt dann, dass eine Leistungseinschränkung auf Grundlage von § 1a Abs. 7 AsylbLG jedenfalls mit Ablauf der Überstellungsfrist wieder aufgehoben werden muss (Verfahren B 8 AY 7/23 R).

Außerdem hat das Bundessozialgericht dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob eine Regelung wie § 1a Abs. 7 AsylbLG mit dem durch Art. 17 EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU vorgeschriebenen Mindestniveau für die Gewährung von Leistungen an Schutzsuchende vereinbar ist, wonach die Leistungen einem „angemessenen Lebensstandard“ entsprechen. Sofern dies nicht der Fall sein sollte, fragt das Bundessozialgericht außerdem danach, ob ein in Deutschland gestellter Asylantrag bei Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staats als Folgeantrag im Sinne von Art. 20 EU-Aufnahmerichtlinie angesehen werden kann und ob Art. 20 EU-Aufnahmerichtlinie dann Einschränkungen erlaubt, wie sie in § 1a Abs. 7 AsylbLG vorgesehen sind (Verfahren B 8 AY 6/23 R).

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Neueste Newsletter

  • Fortdauernde Flucht

    Ein allgemeiner Erfahrungssatz besagt, dass man zu jeder migrationsrechtlichen Frage Entscheidungen von mindestens zwei Gerichten finden kann, in denen zu dieser Frage gegensätzliche Rechtsauffassungen vertreten werden. Das Verwaltungsgericht Berlin probiert in dieser Woche aus, ob man das nicht auch innerhalb des Gerichts hinkriegt: Die 37. Kammer…

    Weiterlesen..

  • Contra mundum

    Es geht in dieser Woche um die vom französischen Asylgerichtshof angenommene Gruppenverfolgung von Palästinensern im Gazastreifen, um Gefahren in der Zentral- und Westukraine, die das Verwaltungsgericht Berlin für nicht beachtlich hält, und um mögliche Kampfeinsätze in der Ukraine als Gefahr für russische Wehrpflichtige, über die sich…

    Weiterlesen..

  • Schwierige Verhältnisse

    Die Rechtsprechung im Asyl- und Migrationsrecht wird gefühlt auch jede Woche politischer. Das liegt wohl weniger an den Gerichten als vielmehr an der neuen Bundesregierung, die mit juristisch zweifelhaftem Aktionismus aufwartet und aufwarten lässt. In dieser Woche geht es dementsprechend um Zurückweisungen, die vielleicht gar keine…

    Weiterlesen..

  • Fiktiver Aufenthalt

    Was tut die italienische Regierung mit einem leerstehenden Migrationszentrum in Albanien, in dem sie keine Schutzsuchenden unterbringen (d.h. inhaftieren) kann, weil die italienischen Gerichte Einwände haben? Sie widmet das Zentrum einfach in eine Abschiebungshaftanstalt um. Ärgerlich nur aus Sicht der Regierung, dass die italienischen Gerichte schon…

    Weiterlesen..

  • Restriktivere Handhabung

    Mal wieder eine Dublin-Woche im HRRF-Newsletter, in der darum geht, ob die Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils einem neuen Dublin-Bescheid im Wege steht (ja), ob Dublin-Überstellungsfristen durch gerichtlichen Eilrechtsschutz unterbrochen werden (man ist sich nicht einig) und ob Schutzberechtigten in Griechenland Menschenrechtsverletzungen drohen (man ist sich ebenfalls…

    Weiterlesen..

ISSN 2943-2871