Sichere Herkunftsstaaten müssen für alle sicher sein

Art. 37 der EU-Asylverfahrensrichtlinie erlaubt nicht, einen Staat als sicheren Herkunftsstaat zu bestimmen, wenn der Staat für bestimmte Personengruppen nicht sicher ist, sagt der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 1. August 2025 (Rs. C-758/24, C-759/24, Alace). Anhang I der Richtlinie und die dort genannten Voraussetzungen für die Bestimmung eines Staats als sicheren Herkunftsstaat setzten voraus, dass der Staat für seine gesamte Bevölkerung sicher sei, nicht nur für einen Teil von ihr. Außerdem müsse die Bestimmung von Herkunftsstaaten als sichere Herkunftsstaaten einer gerichtlichen Überprüfung durch nationale Gerichte anhand der in Anhang I der Richtlinie genannten Voraussetzungen unterliegen können, müssten EU-Staaten einen ausreichenden und angemessenen Zugang zu den Informationsquellen gewährleisten, auf deren Grundlage sie Herkunftsstaaten als sicher bestimmt haben, und müssten nationale Gerichte auch auf von ihnen selbst eingeholte Informationen zurückgreifen dürfen.

Revolutionär ist das Urteil nicht, eher eine Fortführung und Erweiterung der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu sicheren Herkunftsstaaten (insbesondere seines Urteils vom 4. Oktober 2024). Gleichwohl wurde es von nicht so sehr im Thema seienden Medien sowie bestimmten politischen bzw. wissenschaftlichen Kreisen als gleichsam fundamentale Bedrohung staatlicher Gestaltungsmacht, als ein „Migrations-Hammer“, „Paukenschlag“ usw. apostrophiert. Das ist dreifach falsch: Zum Ersten hat das Urteil, anders als oft behauptet, in keinem Wort zur Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des italienischen Albanien-Modells Stellung genommen. Zum Zweiten geht es nicht darum, dass ein Gericht eine politische Rolle einnehmen (wollen) würde, sondern vielmehr um die bloße Unwilligkeit einer Regierung, sich an von ihr initiierte Gesetze zu halten, möglicherweise auch in der Absicht, sich als Opfer einer „politisierten“ Rechtsprechung ins Licht setzen zu können. Zum Dritten wird sich in Kürze sowieso alles ändern, weil die neue EU-Asylverfahrensverordnung 2024/1348 großzügigere Regeln über die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten erlaubt und weil die EU-Mitgliedstaaten beabsichtigen, das derzeit noch für Juni 2026 geplante Inkrafttreten dieser Verordnung vorzuziehen (siehe die Rn. 106-108 des Urteils).

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ISSN 2943-2871