Subsidiärer Schutz auch bei vorübergehendem Schutz

Die Gewährung vorübergehenden Schutzes für aus der Ukraine geflohene Menschen hindert sie nicht daran, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen und unter anderem subsidiären Schutz zu erhalten, so der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 20. November 2025 (Rs. C-195/25). Die EU-Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU enthalte keine Regelung, die einen Antrag auf internationalen Schutz für unzulässig erklären würde, wenn man bereits vorübergehenden Schutz genieße.

Das Urteil kommt nicht überraschend. Das Zusammenspiel der Richtlinie über vorübergehenden Schutz von 2001 mit der Asylverfahrensrichtlinie von 2013 ist etwas holprig, weil es das Konzept des subsidiären Schutzes 2001 noch nicht gab, so dass die Richtlinie über vorübergehenden Schutz es noch nicht berücksichtigen konnte. Eine Lektüre des Urteils empfiehlt sich vor allem wegen der Ausführungen des Gerichtshofs zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 18 der Qualifikationsrichtlinie 2011/95 (Zuerkennung des subsidiären Schutzes) und Art. 33 der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32 (unzulässige Anträge), sofern das nationale Recht nicht im Einklang mit diesen Regelungen ausgelegt werden kann. Spannend ist dabei, dass der Gerichtshof hier gerade auch auf Art. 33 der Asylverfahrensrichtlinie abstellt, genauer gesagt auf dessen Absatz 2 (siehe Rn. 65 des Urteils), obwohl diese Vorschrift auf den ersten Blick keine einen Schutzsuchenden begünstigende Regelung enthält, wie das für eine unmittelbare Anwendbarkeit an sich eine Voraussetzung wäre. Hintergrund dürfte sein, dass Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie Schutzsuchende indirekt durchaus begünstigt, indem er regelt, dass Asylanträge nur in den dort genannten Fällen als unzulässig betrachtet werden dürfen, sonst aber eben nicht.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

  • Textausgabe Deutsches Migrationsrecht (nach der GEAS-Reform)

    Es ist zu erwarten, dass der Deutsche Bundestag in den kommenden Wochen die beiden deutschen Umsetzungsgesetze zur GEAS-Reform von 2024 verabschieden wird, nämlich das GEAS-Anpassungsgesetz, und, gemeinsam mit dem Bundesrat, das GEAS-Anpassungsfolgengesetz. Diese Umsetzung wird zu umfangreichen Änderungen unter anderem…

  • GEAS-Reform 2024

    Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) im Mai 2024 wird den Flüchtlingsschutz in Deutschland und Europa verändern, zumindest in unzähligen Details, vermutlich aber jedenfalls auf einer faktischen Ebene auch im Grundsätzlichen. Die GEAS-Reform soll im Juni 2026 in Kraft…

  • Aktuelle EuGH-Urteile vom 1.8.2025

    Etwas zu spät für den HRRF-Newsletter an diesem Freitag hat der Europäische Gerichtshof heute Mittag drei Urteile zum europäischen Flüchtlingsrecht verkündet. Alle drei Urteile sind mittlerweile in deutscher Sprache verfügbar, zu zwei der drei Urteile gibt es außerdem deutschsprachige Pressemitteilungen…

ISSN 2943-2871