Unmöglichkeit der überwiegenden Lebensunterhaltssicherung wegen Krankheit

Kennen Sie das, wenn jemand Dinge unnötig kompliziert ausdrückt? Der HRRF-Newsletter macht das manchmal (selten genug, hoffe ich), aber das Bundesverwaltungsgericht ist in seiner Pressemitteilung vom 25. September 2025, in der es über sein (noch nicht im Volltext vorliegendes) Urteil vom selben Tag (Az. 1 C 17.24) berichtet, auch ein Kandidat. Es geht darum, dass ein Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG wegen nachhaltiger Integration an sich voraussetzt (siehe § 25b Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AufenthG), dass der Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit gesichert wird. Es gibt aber eine Ausnahme in § 25b Abs. 3 AufenthG, wonach diese Voraussetzung nicht vorliegen muss, wenn der Ausländer sie „wegen“ einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder aus Altersgründen nicht erfüllen kann. Das Wort „wegen“ meint, dass die Krankheit, Behinderung oder Altersgründe die Ursache dafür sein muss, dass der Ausländer seinen Lebensunterhalt nicht (überwiegend) durch Erwerbstätigkeit sichern kann.

Was ist aber, wenn es mehrere Ursachen gibt? Also etwa zunächst eine nicht so tolle Berufsausbildung, die dazu führt, dass der Lebensunterhalt nicht überwiegend durch Erwerbstätigkeit gesichert werden konnte, dann irgendwann zusätzlich noch eine Krankheit. Ist die Krankheit ursächlich für die fehlende Lebensunterhaltssicherung? Eigentlich nicht, denn der Lebensunterhalt war auch schon vor dem Auftreten der Krankheit nicht (überwiegend) gesichert. Auf welche Art von Kausalität es hier ankommen soll, war die zentrale Frage in diesem Verfahren. Die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts liest sich ausschnittsweise so:

(1.) „Die Kausalität im Sinne des § 25b Abs. 3 AufenthG ist nicht im Rahmen einer Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung weiterer Ursachen einer gegenwärtigen oder früheren Unfähigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts zu bestimmen“ – das verstehe ich so, dass eine Mitursächlichkeit auch eine Ursächlichkeit sein soll: Man tut bei jeder Einzelursache so, als ob sie die einzige Ursache wäre. Es kommt also nicht darauf an, dass der Lebensunterhalt schon vor dem Auftreten der Krankheit nicht (überwiegend) gesichert war.

(2.) „entscheidend ist allein, ob die Krankheit, Behinderung oder Altersgründe bezogen auf den maßgeblichen Erteilungszeitraum ursächlich dafür sind, dass der Ausländer seinen Lebensunterhalt nicht überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichern kann“ – das ist doch eigentlich das Gegenteil des vorherigen Satzes? In unserem Beispiel ist die Krankheit streng genommen eben nicht ursächlich, denn der Lebensunterhalt war auch ohne Krankheit nicht (überwiegend) gesichert?

Gemeint ist glaube ich etwas, was das in der Vorinstanz mit dem Verfahren befasste Oberverwaltungsgericht Lüneburg (das Urteil im Parallelverfahren gibt es online) etwas anders ausgedrückt hat: Die Ansicht, dass die Krankheit oder Behinderung für die fehlende Lebensunterhaltssicherung „allein und ausschließlich“ ursächlich sein müsse und in der Vergangenheit liegende weitere (Mit-)Ursachen die Anwendung der Ausnahmeregelung von vorneherein ausschlössen, sei falsch. Hinreichend sei vielmehr, dass der Ausländer die Voraussetzung der Lebensunterhaltssicherung „im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt“ wegen einer Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen könne. Eigentlich ist das immer noch ein Widerspruch, weil das „wegen“ ja gerade nicht vorliegt. Wir tun aber so als ob, offenbar, weil wir (d.h. das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, und jetzt anscheinend auch das Bundesverwaltungsgericht) auf eine zeitliche Perspektive abstellen, und damit nur auf die jeweils letzte Ursache, und also nicht auf frühere, „in der Vergangenheit liegende“ Ursachen, wenn ich das richtig verstehe.

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