Das Europäische Übereinkommen über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge (EÜÜVF) regelt an sich nur, wann die Verantwortung für die Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge von einem Vertragsstaat auf einen anderen Vertragsstaat übergeht, nämlich wenn ein anerkannter Flüchtling zwischen zwei Staaten umzieht und der aufnehmende Staat das erlaubt oder über einen bestimmten Zeitraum duldet. Es ist in der deutschen obergerichtlichen Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt, wann so ein Verantwortungsübergang genau eintritt, und ob daraus vielleicht nicht nur ein Anspruch auf Ausstellung eines Reiseausweises, sondern auch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels folgt. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg ist in seinem Urteil vom 5. Juni 2025 (Az. 13 LC 234/23) großzügig und meint, dass aus dem Übergang der Verantwortung auf Deutschland automatisch ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis folgt, nämlich aus einer analogen, europarechtskonformen Anwendung von § 25 Abs. 2 AufenthG. Da andere Oberverwaltungsgerichte das anders sehen (etwa der VGH Kassel im November 2024), oder aber auch nicht (so der VGH München im Januar 2025), hat das Oberverwaltungsgericht die Revision zugelassen.
Die Thematik des Verantwortungsübergangs auf Grundlage des EÜÜVF ist vergleichsweise komplex, aber im Kontext der Sekundärmigration anerkannter Flüchtlinge zwischen verschiedenen EU-Staaten praktisch häufig bedeutsam. Fragen des Verantwortungsübergangs stellen sich nicht nur im Rahmen des EÜÜVF, das ein völkerrechtlicher Vertrag ist, sondern auch im Rahmen des europäischen Asylrechts, und irgendwie sind die beiden an sich getrennten Rechtskreise des Völkerrechts und des Europarechts doch miteinander verbunden, etwa weil das Oberverwaltungsgericht bei der Anwendung des EÜÜVF sonst keine gerade „europarechtskonforme“ Auslegung des deutschen Rechts hätte vornehmen können. Die Lektüre des verständlich geschriebenen Urteils eignet sich zum Einstieg in diese Regelungsmaterie.
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