Das Bundesverfassungsgericht berichtet in einer Pressemitteilung vom 4. Dezember 2025 über seinen noch nicht im Volltext vorliegenden Beschluss vom selben Tag (Az. 2 BvR 1511/25), in dem es der Verfassungsbeschwerde eines afghanischen Richters und seiner Familie teilweise stattgegeben und die Bundesrepublik (d.h. praktisch das Auswärtige Amt) dazu verpflichtet hat, umgehend über die Visaanträge der Familie zu entscheiden. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg habe das Grundrecht der Kläger auf effektiven Rechtsschutz dadurch verletzt, dass es nicht geprüft habe, ob die Kläger einen Anspruch auf Bescheidung ihrer Visaanträge hätten. Im Hinblick auf einen etwaigen unmittelbaren Anspruch auf Erteilung der Visa sei die Verfassungsbeschwerde hingegen unzulässig, weil sie insoweit nicht den Darlegungsanforderungen genüge.
In dem Verfahren ging es um Aufnahmeerklärungen nach § 22 S. 2 AufenthG, die von der alten Bundesregierung abgegeben, von der neuen Bundesregierung aber „ausgesetzt“ worden waren. Eine solche allgemeine Aussetzung eines Aufnahmeprogramms, so das Bundesverfassungsgericht, verliere als hinreichender Grund für die Verzögerung individueller Verfahren mit zunehmender Dringlichkeit der Bescheidung für die betroffenen Rechtsschutzsuchenden an Gewicht. Hinsichtlich der individuellen Dringlichkeit einer Bescheidung für die Beschwerdeführenden sei insbesondere die zunehmende Gefahr der Abschiebung aus Pakistan mit der etwaigen Folge erhöhter Zugriffsmöglichkeiten der Taliban zu berücksichtigen. Betroffene könnten zwar nach der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg kein subjektives Recht auf Erteilung (und Aufrechterhaltung) einer Aufnahmeerklärung gemäß § 22 S. 2 AufenthG geltend machen, davon sei aber das Visumverfahren zu unterscheiden, in dem es schon einfachrechtlich einen Anspruch auf Bescheidung von Visaanträgen gebe.
Zur Frage, ob Betroffene in Fällen einer Aufnahmezusage gemäß § 22 AufenthG (also nicht gemäß § 23 AufenthG) wenigstens einen (vom Bundesverfassungsgericht nun bejahten) Anspruch auf Bescheidung ihrer Visaanträge haben, gingen die Rechtsansichten der Instanzgerichte auseinander: Das Oberverwaltungsgericht geht vom Durchschlagen des weitgehend rechtsfreien Raums der Aufnahmeerklärungen nach § 22 AufenthG auf Visaanträge aus, zuletzt wohl in seinem Beschluss vom 12. November 2025 (Az. OVG 6 S 88/25) (dort Rn. 14), wobei aber gleichzeitig „die Visumverfahren der Antragsteller weiter durchzuführen“ sein sollten, was aber doch niemandem etwas nützt, wenn man keinen Anspruch auf Abschluss (Bescheidung) dieser Verfahren hat? Die 40. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin sieht es in ihrem Beschluss vom 25. November 2025 (Az. 40 L 471/25 V) (dort Rn. 12) anders und leitet einen Bescheidungsanspruch aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ab, weil die Antragsteller jedenfalls in dem konkreten Verfahren ein schutzwürdiges Vertrauen auf Durchführung und Abschluss ihrer Visumsverfahren in einem angemessenen zeitlichen Rahmen hätten. Wenn das Bundesverfassungsgericht einerseits meint, dass es einen einfachrechtlichen Anspruch auf Bescheidung von Visaanträgen gibt, andererseits aber sagt, dass die zunehmende Dringlichkeit der Bescheidung eine Rolle spielen soll, dann geht es letztlich nicht um die Bescheidung als solche, sondern um den Zeitpunkt der Bescheidung, und diskutieren wir hier eigentlich über einen Bescheidungsbeschleunigungsanspruch?


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