Flüchtlingsschutz für alle Schutzsuchenden aus dem Gazastreifen

In seiner Entscheidung vom 11. Juli 2025 (Az. 24035619) geht der französische Asylgerichtshof (Cour nationale du droit d’asile) davon aus, dass staatenlose Palästinenser aus dem Gazastreifen, die nicht bereits unter dem Schutz der Vereinten Nationen stehen, als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anzuerkennen sind. Die von den israelischen Streitkräften angewandten Kriegsmethoden träfen die gesamte Zivilbevölkerung des Gazastreifens direkt und wahllos und seien aufgrund ihrer Art und Wiederholung schwerwiegend genug, um eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 der EU-Qualifikationsrichtlinie 2011/95 darzustellen. Diese Verfolgungshandlungen stünden auch mit einem Verfolgungsgrund im Sinne von Art. 10 der Richtlinie in Verbindung, nämlich mit der Nationalität der staatenlosen Palästinenser (Art. 10 Abs. 1 Buchst. c RL). Der Gerichtshof hat zu seiner Entscheidung auch eine Pressemitteilung veröffentlicht.

Die Entscheidung steht in einem grundsätzlichen Kontrast zur Entscheidungspraxis deutscher Verwaltungsgerichte, die die Flüchtlingseigenschaft, wenn überhaupt, lediglich auf Grundlage von § 3 Abs. 3 S. 2 AsylG zuerkennen, d.h. wegen des Wegfalls des im Gazastreifen zuvor vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) gewährten Schutzes, ohne dass eine individuelle Verfolgung thematisiert würde, solange nur eine individuelle Betroffenheit vorliegt. Für nicht zuvor vom UNRWA geschützte Schutzsuchende aus dem Gazastreifen kommt in der deutschen Rechtsprechung bislang höchstens subsidiärer Schutz in Betracht, wenn nicht ohnehin die Lage im Gazastreifen für nach wie vor ungewiss gehalten wird. Die französische Entscheidung geht demgegenüber von einer „klassischen“ Gruppenverfolgung aus, so dass jedem einzelnen Schutzsuchenden schon wegen seiner Zugehörigkeit zur verfolgten Gruppe (der staatenlosen Palästinenser) die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen wäre.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

  • Textausgabe Deutsches Migrationsrecht (nach der GEAS-Reform)

    Zuletzt aktualisiert am

    Es ist zu erwarten, dass der Deutsche Bundestag in den kommenden Wochen die beiden deutschen Umsetzungsgesetze zur GEAS-Reform von 2024 verabschieden wird, nämlich das GEAS-Anpassungsgesetz, und, gemeinsam mit dem Bundesrat, das GEAS-Anpassungsfolgengesetz. Diese Umsetzung wird zu umfangreichen Änderungen unter anderem…

  • GEAS-Reform 2024

    Zuletzt aktualisiert am

    Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) im Mai 2024 wird den Flüchtlingsschutz in Deutschland und Europa verändern, zumindest in unzähligen Details, vermutlich aber jedenfalls auf einer faktischen Ebene auch im Grundsätzlichen. Die GEAS-Reform soll im Juni 2026 in Kraft…

  • Aktuelle EuGH-Urteile vom 1.8.2025

    Zuletzt aktualisiert am

    Etwas zu spät für den HRRF-Newsletter an diesem Freitag hat der Europäische Gerichtshof heute Mittag drei Urteile zum europäischen Flüchtlingsrecht verkündet. Alle drei Urteile sind mittlerweile in deutscher Sprache verfügbar, zu zwei der drei Urteile gibt es außerdem deutschsprachige Pressemitteilungen…

ISSN 2943-2871