Der Verwaltungsgerichtshof München geht in seinem Urteil vom 21. Mai 2025 (Az. 19 B 24.1772) davon aus, dass der Eintritt der Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung in Dublin-Verfahren entgegen dem Wortlaut von § 67 Abs. 1 Nr. 5 AsylG nicht zum Erlöschen der Aufenthaltsgestattung des Betroffenen führt, sondern der Aufenthalt bis zum Zeitpunkt des tatsächlichen Vollzugs der Dublin-Überstellung rechtmäßig bleibt. Das liege daran, so der Verwaltungsgerichtshof, dass die vorrangig vor dem deutschen Recht anzuwendende EU-Asylverfahrensrichtlinie auch für Dublin-Verfahren gelte und dass das Aufenthaltsrecht der Antragsteller während des Asylverfahrens gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie erst mit einer bestandskräftigen inhaltlichen Entscheidung über den Asylantrag erlösche. Die Ablehnung eines Asylantrags als unzulässig wegen der Zuständigkeit eines anderen Dublin-Staats sei aber gerade keine inhaltliche Ablehnung des Asylantrags, so dass das Aufenthaltsrecht fortbestehe, und zwar eben bis zur tatsächlichen Durchführung der Dublin-Überstellung. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs zeigt eindrucksvoll, wie komplex das Neben- und Miteinander von deutschem und europäischem Recht inzwischen geworden ist und zu welchen auf den ersten Blick überraschenden Schlussfolgerungen man bei der Ermittlung der letztlich geltenden Rechtsnormen gelangen kann. Die praktischen Auswirkungen des Urteils sind jedenfalls bis zum Inkrafttreten der GEAS-Reform (siehe Art. 10 Abs. 1 Asylverfahrens-Verordnung 2024/1348) vielfältig, weil es im Aufenthaltsrecht immer mal wieder auf einen gerade legalen Voraufenthalt ankommt, wie etwa in diesem Verfahren beim Chancen-Aufenthalt (§ 104c Abs. 1 AufenthG). Die neuen Dublin-Leistungskürzungen gemäß § 1 Abs. 4 AsylbLG dürften ebenso von dem Urteil betroffen und nun noch aus einer weiteren Erwägung heraus grundsätzlich rechtswidrig sein.
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